Die Aussage war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Der „Falter“, der zu dem Termin eingeladen war, aber nicht erschienen ist, entschied sich, die Vertraulichkeit zu durchbrechen: In einem Hintergrundgespräch knapp vor Ausbruch der Pandemie ritt Kanzler Sebastian Kurz ungewohnte Attacken gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA). Er ortete dort rote Netzwerke, die der türkisen ÖVP feindlich gesonnen seien.
Erste Ermittlungen bald nach Ibiza
Auf Basis des Ibiza-Videos hatte die WKStA Ermittlungen bereits im Sommer 2019 gegen diverse parteinahe Vereine, darunter auch den ÖVP-nahen Verein "Pro Patria", eingeleitet. Im August gingen in der Volkspartei erstmals die Wogen hoch, weil die WkStA einen Zusammengang zwischen der Schredderaffäre-Affäre und dem Ibiza-Video hergestellt hatte. Später nahm die Staatsanwaltschaft den Vorwurf zurück.
Im Herbst erhielt Ex-Finanzminister Hartwig Löger wegen der Casiono-Affäre ungebetenen Besuch von der Staatsanwaltschaft. Wenig Beachtung fand zum damaligen Zeitpunkt auch eine Hausdurchsuchung bei Öbag-Chef Thomas Schmid. Dessen Handy hat sich in der Zwischenzeit als wahre Fundgrube für die Ermittlungsbehörden entpuppt.
Die Grünen in der Zwickmühle
Wahrscheinlich hatte der Kanzler schon eine Vorahnung, dass im Zuge der Ermittlungen einige wenig schmeichelhaften Äußerungen und Fakten das Licht der Welt erblicken könnten, deshalb die beiläufigen Attacken gegen die WKStA. Als dann alles publik wurde, bat der Kanzler im Jänner 2020 zu einem Runden Tisch. Es sei „legitim, in der Causa WKSTA bestimmte Abläufe und Prozesse kritisch zu hinterfragen, denn eine unabhängige und funktionierende Justiz ist ein wesentlicher Bestandteil unseres demokratischen Rechtsstaates.“ Anfang Februar stellte sich Vizekanzler und Grünenchef Werner Kogler schützend vor die Justiz. Er habe keine Anhaltspunkte für eine politische Schlagseite.
Seit damals wiederholt sich in unregelmäßigen Abläufen das Spiel. Durch Indiskretionen werden neue Vorwürfe laut, die ÖVP empört sich, die Grünen stellen sich schützend vor die Justiz. Am Dienstag rückte einmal mehr der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger aus, um der Justiz öffentlich "Fehlleistungen" vorzuwerfen, und zwar bei den Aktenlieferungen der WKStA an den Ibiza-U-Ausschuss und vorgeblich zu Unrecht unterlassene Ermittlungen gegen den Wiener Ex-Bürgermeister Michael Häupl. Ein paar Stunden später folgte die Reaktion aus dem Justizministerium. Die Vorwürfe seien "faktisch falsch", heißt es in einer Aussendung.
Die Attacken verfolgen jedenfalls einen klaren Zweck: Die Glaubwürdigkeit der WKStA soll so unterminiert werden, damit allem in türkisen Kreisen den Anschuldigungen wenig Glauben beigemessen wird. Ein Ende ist nicht in Sicht.