Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) hat sich am Dienstag erstmals zu den Ermittlungen gegen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz geäußert. Er habe Kurz als integre und pflichtbewusste Persönlichkeit kennengelernt und könne sich "persönlich unmöglich vorstellen, dass er wirklich eine vorsätzliche Falschaussage im Untersuchungsausschuss gemacht haben soll", so Wallner gegenüber dem ORF Vorarlberg. Es gelte, das Ermittlungsverfahren abzuwarten.
Es gelte die Unschuldsvermutung und Kurz habe wie jeder andere Bürger das Recht, sich zu verteidigen, sagte der Landeshauptmann weiter. Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, "dass in manchen Teilen der Republik auch die Überlegungen schon im Gange sind, den Bundeskanzler einfach loswerden zu wollen - das spürt man auch." Er sei für eine Versachlichung des Themas und habe großes Vertrauen in die Justiz.
Interessante Thesen, die einen Kontrapunkt zur aktuellen Debatte darstellen, stellte Rechtsanwalt Alfred J. Noll in einem Gastkommentar im "Standard" in den Raum. Noll war Nationalratsabgeordneter für die "Liste Jetzt" von Peter Pilz.
Noll schreibt zum Thema Unschuldsvermutung und sagt: "Wer an diesem zivilisatorischen Fortschritt festhalten will, muss auch manche Nachteile in Kauf nehmen." Er bezieht sich damit auf die Mitteilung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt (WKStA) an den Bundeskanzler, in der viele quasi schon eine Anklage sehen, was in der Sekunde die Debatte über einen allenfalls nötigen Rücktritt gestartet habe.
Verdacht muss ohne Konsequenzen bleiben
Noll in seinem Gastkommentar im "Standard": Die Europäische Menschenrechtskonvention sollte eigentlich Leitfaden unseres Handelns sein, und in dieser stehe geschrieben: "Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist."
Die Essenz dieser "Unschuldsvermutung" sei eben, dass an einen bestehenden Verdacht keine Konsequenzen geknüpft dürften. Das im Zuge der aktuellen Debatte im Raum stehende Argument, wonach Politiker "höheren moralischen Anforderungen" unterlägen, sei gefährlich, denn: "Wessen Moral wäre denn entscheidend? Die Moral derjenigen, die am lautesten brüllen und sich der Medien als gefällige Verstärker bedienen könnten?"
Ball bei Parlament
Wer in der Tatsache einer bloßen Anklageerhebung eine zwingende Verpflichtung zum Rücktritt sieht, der unterminiere die Unschuldsvermutung. Am Zug sei allenfalls der Nationalrat, der natürlich ein Misstrauensvotum aussprechen könne. "Wenn man dazu nicht die politische Kraft hat, dann bleibt der Appell an die Moral notwendig hohl."
Charakterlich einwandfreie Politiker dürfe man sich herbeisehnen, "wir werden sie aber nicht bekommen". Am "Charakter der Mächtigen" seien die Untertanen indes wenig interessiert, sie glaubten ohnehin nicht daran, dass "die da oben" dort wären, wo sie sind, "wenn sie nicht gerade so wären, wie sind sind".
Fragwürdige linke Gelassenheit
Dass es ausgerechnet die SPÖ mit deren Chefin Pamela Rendi-Wagner sei, die aus der Anklageerhebung das Rücktrittserfordernis ableitet - sei es mit Bezug auf den Kanzler oder unter Hinweis auf den burgenländischen Landeshauptmann aus den Reihen der eigenen Partei - sei bemerkenswert, so Noll: Rendi-Wagner sei offenbar nicht bewusst, dass Repräsentanten "der insgesamt konservativen Justiz" jederzeit Anklagen gegen linke Amtsinhaber basteln könnten.
Eine Anklage sei nicht mehr als "das Resultat einiger Rechtsmeinungen, die doch immer auch falsch sein könnten". In einem Rechtsstaat stehe "der für alle verbindliche Moralanspruch" im Gesetz. "Was davon übrig bleibt, das nennt man Freiheit. Auch dann, wenn's weh tut."