Nach dem Terror-Anschlag in Wien vom 2. November ist am Montag am Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) ein erster Prozess um Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Republik Österreich eröffnet werden. Der Wiener Rechtsanwalt Norbert Wess, der die Mutter einer jungen Frau vertritt, die bei dem Anschlag ihr Leben verloren hat, hat ein Amtshaftungsverfahren auf den Weg gebracht. Er steht auf dem Standpunkt, dass der Anschlag verhindert hätte werden können.
Wess stützt sich dabei auf die Ergebnisse der so genannten Zerbes-Kommission, die im Auftrag von Innen- und Justizministerium allfällige Versäumnisse im Zusammenhang mit dem behördlichen Umgang mit dem späteren Attentäter untersucht hatte. Der 20-jährige Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) war nach einer Verurteilung wegen terroristischer Vereinigung vorzeitig bedingt entlassen worden und in weiterer Folge nicht in den Fokus der Verfassungsschützer geraten, obwohl Warnsignale gegeben waren. So nahm der 20-Jährige etwas mehr als drei Monate vor dem Attentat an einem Treffen radikaler Islamisten in Wien teil und versuchte in der Slowakei Munition für ein automatisches Sturmgewehr zu kaufen. In ihrem Abschlussbericht zeigte die Zerbes-Kommission in diesem Zusammenhang einige Mängel auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung sowie dem Informationsfluss zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Wiener LVT.
Zum Auftakt der Verhandlung verwies Wess darauf, dass das Innenministerium zwischenzeitlich zwei Wiener LVT-Beamte "wegen einer Kette von Versäumnissen" wegen möglichen Amtsmissbrauchs angezeigt habe: "Um so verwunderlicher und tragischer ist es für die Mutter der Getöteten, dass keine Bereitschaft der Republik Österreich besteht, das auszugleichen." Die junge Frau - eine 24-jährige Kunststudentin, die als Kellnerin gejobbt hatte - war vom Attentäter vor einem Lokal am Ruprechtsplatz erschossen worden. Ihre Mutter erhielt nach dem Verbrechensopfergesetz 2.000 Euro. Damit ließen sich nicht ein Mal die Überführung - die Frau stammte aus Bayern - und die Begräbniskosten abdecken.
Außergerichtliche Lösung abgelehnt
Nun macht die Mutter neben den Überführungs- und Begräbniskosten Trauerschmerzengeld und Schockschaden geltend. Insgesamt begehrt sie rund 125.000 Euro. Die Finanzprokuratur - sie vertritt die Republik in allen Verfahren vor ordentlichen Gerichten - erkennt die geltend gemachten Ansprüche der Mutter nicht an. Eine außergerichtliche Lösung wurde abgelehnt.
Richterin Marianne Kodek drückte der hinterbliebenen Mutter zu Beginn der Verhandlung ihr "tief empfundenes Mitgefühl" aus. Sie kündigte an, auf Basis "der Fakten- und Aktenlage" allfällige Handlungen und Unterlassungen auf Seiten der Behörden prüfen zu wollen, "die eine Haftung der Republik Österreich begründen können". Zunächst werde es um die Feststellung gehen, ob die geltend gemachten Forderungen der Klägerin dem Grunde zurecht bestehen. Nachdem Wess einen umfangreichen Schriftsatz eingebracht hatte, bekam die Finanzprokuratur eine Frist von vier Wochen für eine Gegenäußerung eingeräumt. Die Verhandlung wurde daher auf vorerst unbestimmte Zeit vertagt.
Weitere Familien beteiligen sich
Der Wiener Rechtsanwalt Karl Newole, der rund zwei Dutzend Angehörige bzw. Opfer des Anschlags vertritt - vier Menschen hatte der Attentäter erschossen, mehr als 20 verletzt -, trat als Nebenintervenient dem Verfahren bei. Er kam mit der Tochter eines getöteten Lokal-Besitzers zur Verhandlung und reagierte erbost, als sich die Vertreter der Finanzprokuratur dagegen aussprachen, ihn als Nebenintervenient zuzulassen. Die Richterin behielt sich die Entscheidung in diesem Punkt vor.
"Ich erwarte mir, dass sie (die Vertreter der Republik, Anm.) Verantwortung übernehmen und aussprechen, dass Fehler passiert sind", erklärte die Tochter des erschossenen Familienvaters nach der Verhandlung vor zahlreichen Journalisten. Die Situation sei "schwierig für die Familie", es sei "emotional anstrengend, das durchzuarbeiten". Sie selbst sei "enttäuscht und frustriert, dass es kein Entgegenkommen der Republik gibt".
Newole berichtete, einige vom Anschlag Betroffene wären wütend, andere dagegen traurig, dass Österreich ihre Ansprüche mit 2.000 Euro aus dem Verbrechensopfergesetz begrenze. Eine betroffene Person sei inzwischen aus Wien weggezogen und habe sich geschworen, nie mehr den ersten Bezirk zu betreten.
Reaktionen der Politik
Die SPÖ und die FPÖ verlangten mittels Presseaussendungen ein Handeln der Regierung und eine angemessene Entschädigung für die Terror-Opfer bzw. die Hinterbliebenen. SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner nannte es "ein Armutszeugnis", dass keine außergerichtliche Lösung gefunden wurde und eine Amtshaftungsklage eingebracht werden musste. Einwallner sah Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) in der Pflicht: "Das Abschieben der Verantwortung des Innenministers und das ständige Vertrösten auf eine Lösung sind unwürdig. Fakt ist, dass im Fall des Attentäters den Behörden viele schwere Fehler unterlaufen sind. Seine Identität wurde nicht früh genug festgestellt, trotz eines Treffens mit bekannten Terroristen wurden keine weiteren Schritte zur näheren Überwachung gesetzt. Die Opfer und Hinterbliebenen haben also einen klaren Anspruch auf Entschädigung."
FPÖ-Obmann Norbert Hofer monierte das Fehlen eines Entschädigungsfonds: "Das ist einfach nur ein schäbiges Verhalten, das die Regierung hier an den Tag legt." Es müsse "die höchste Priorität sein, für eine Entschädigung der Opfer zu sorgen", meinte Hofer. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz qualifizierte die ausbleibenden angemessenen Entschädigungszahlungen als "eine absolute Schande für unser Land". Dieses Verhalten bezeuge, "wie kaltschnäuzig die türkis-grüne Regierung mit den Bürgern umgeht. Allein die Tatsache, dass eine Mutter die Republik klagen muss, ist mehr als schäbig". Schnedlitz mahnte "eine Rückkehr zu einer moralisch haltbaren Regierungspolitik" ein.