Die Vereinigung der Richterinnen und Richter übt heftige Kritik am Umgang der ÖVP mit den Ermittlungen gegen Bundeskanzler Kurz. Er sieht das Verfahren gegen ihn bekanntlich als politisch motiviert an, da es auf einer Anzeige der Neos fusst. Die permanenten Angriffe auf die Justiz seien zuletzt "grenzüberschreitend" gewesen, meint dazu Sabine Matejka, Präsidentin der Standesvertretung, im Ö1-Morgenjournal.
"Ob die Anzeige als Auslöser dieser Ermittlungen politisch motiviert war, möchte ich nicht beurteilen. Aber die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt aufgrund eines Anfangsverdachts und das ist völlig unabhängig davon, wer diese Anzeige ursprünglich eingebracht hat", erklärt Matejka im ORF-Radio. "Die Staatsanwaltschaft selbst ermittelt objektiv und nicht politisch motiviert".
Auch Spitzenpolitiker sollten, selbst wenn gegen sie ermittelt wird, sachlich bleiben. Die Objektivität des Verfahrens werde immer wieder in Frage gestellt, solche Anschuldigungen würden immer etwas hinterlassen. "Selbst wenn sie sich im Nachhinein als falsch herausstellen oder es zu einer halbherzigen Entschuldigung kommt, stehen sie einmal im Raum. Das greift nach und nach den Rechtsstaat an", meint Mateika. Dadurch könne das Vertrauen in die Justiz geschädigt werden.
Wie geht es weiter?
Mit einer Entscheidung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) über Strafantrag oder Einstellung der Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen angeblicher Falschaussage im Ibiza-U-Ausschuss dürfte erst im Herbst zu rechnen sein. Es könnte "schon sechs Monate dauern", sagte der Wirtschaftsstrafrechts-Experte Robert Kert (WU Wien) Sonntag in der "ZiB 2". Gegenteiliger Ansicht sind Strafrechtler, wie die Entscheidung ausfällt.
Auf jeden Fall müsse die WKStA den Beschuldigten - also Kurz - vernehmen, auch mit Zeugenbefragungen sei zu rechnen. Damit werde es nicht "wenige Wochen", sondern "schon einige Monate dauern", erläuterte Kert. Ob eine Anklage erfolgt, könne man zum jetzigen Zeitpunkt "noch nicht so genau sagen". Aber Kert hält es doch für "sehr wahrscheinlich". Er könne sich vorstellen, dass ein Strafantrag gestellt wird, "weil die Staatsanwaltschaft sagt, das sind Beweisprobleme und die hat ein Gericht zu klären".
Der Salzburger Univ.Prof. Hubert Hinterhofer kommt in einem - von der Kanzlei von ÖVP-Parteianwalt Werner Suppan in Auftrag gegebenen - Gutachten zum gegenteiligen Schluss: Ein für die Anklage nötiger dringender Tatverdacht der vorsätzlichen unrichtigen Aussage des Kanzlers lasse sich der Mitteilung der WKStA (über die Ermittlungen) nicht entnehmen. Denn deren Ausführungen seien "dafür insgesamt zu spekulativ und unterstellend". "Wenn der Stand der Dinge so bliebe, wäre eine Anklage nicht gerechtfertigt", sagte er in der "ZiB2".