1. Warum könnte der Kanzler bald auf der Anklagebank Platz nehmen?
Es geht weder um Tricksereien bei Postenbesetzungen noch um Korruptionsvorwürfe oder illegale Parteispenden. Gegen Sebastian Kurz ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaf wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem Ibiza-Ausschuss. Auf 58 Seiten sind die Vorwürfe aufgelistet, de facto ist es die Anklageschrift.

2. Eine Anklage gegen den Kanzler – ist das nicht an den Haaren herbeigezogen?
Nein, Kurz rechnet selbst mit einer Anklage. Der Kanzler hat unzählige Juristen, Rechtsanwälte, Jus-Professoren, Ex-Staatsanwälte konsultiert, die ihm erklärt haben, er habe schlechte Karten. Ob er dann auch verurteilt wird, steht auf einem anderen Blatt.

3. Um welchen Themenkomplex geht es?
Um Personalentscheidungen in der Staatsholding Öbag, die alle staatsnahen Unternehmen (OMV, Verbund, Telekom) verwaltet. Konkret um die Ernennung des Kurz-Vertrauten Thomas Schmid zum Öbag-Chef, außerdem um die Zusammensetzung des Öbag-Aufsichtsrats.

4. Wo und wann ist das alles passiert?
Am 24. Juni 2020 war der Kanzler im U-Ausschuss zu einer mehrstündigen Befragung geladen, seine Formulierungen könnten ihm zum Verhängnis werden. Im Ausschuss gilt die Wahrheitspflicht.

5. Ist das damals niemandem aufgefallen?
Nein, denn erst im Zuge der Auswertung des im Herbst beschlagnahmten Handys von Thomas Schmid sind Diskrepanzen aufgetaucht.

6. Wer hat den Fall ins Rollen gebracht?
Es war Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper, die die Kurz-Ausführungen mit den Chatprotokollen verglichen und am 29. März eine 18-seitige Sachverhaltsdarstellung der WKStA übermittelt hat.

© KK/Faksimile

7. Um welche Formulierung geht es genau?
Es sind vier Passagen, die die WKStA gegen Kurz ins Treffen führt. Die Schlüsselpassage ist der Wortwechsel mit Neos-Abgeordnetem Helmut Brandstätter (siehe Faksimile), in dem dieser den Kanzler fragt: „Haben Sie mit ihm (Anmerkung: Thomas Schmid) nie darüber gesprochen, dass er das werden könnte?“, worauf Kurz antwortet: „Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert.“ Aus WKStA-Sicht steht diese Aussage im Widerspruch zu den Chats, die den Eindruck erwecken, dass der Kanzler bei der Kür von Schmid ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat.

8. Was sagt Kurz zu den Anschuldigungen?
Kurz weist den Vorwurf der Falschaussage zurück, wirft der WKStA vor, Passagen aus dem Kontext zu reißen. Bei derselben Befragung habe er, Kurz, eingeräumt, Schmid habe „ihn irgendwann informiert, dass er sich bewerben“ werde. Noch dazu sei die Personalie von den Medien aufgegriffen worden und somit auch Gesprächsthema gewesen.

9. Könnte die Passage Kurz nicht entlasten?
Ja, denn nicht nur Kurz, sondern auch die Staatsanwaltschaft verweisen auf das Phänomen der „doppelten Verneinung“ in dem Wortwechsel zwischen Brandstätter und Kurz (siehe Faksimile). Auf die Frage, ob er mit Schmid „nie“ darüber gesprochen habe, antwortet Kurz: „Nein.“ Man könnte auch ins Treffen führen, dass der Kanzler mit diesem „Nein“ der Brandstätter-These widerspricht und somit insinuiert, er habe sehr wohl mit Schmid darüber gesprochen. Noch dazu hatte er davor bereits eingeräumt, dass ihn Schmid „irgendwann davon informiert“ habe.


10. Wie ist die Schmid-Bestellung wirklich abgelaufen?
Thomas Schmid, der als Pressesprecher im Bildungs- und Finanzministerium begonnen hatte, träumte immer schon von der großen Karriere. Als er im Außenamt war, wollte er Botschafter werden, später Staatssekretär. Als Generalsekretär im Finanzministerium liebäugelte er mit dem besser bezahlten Chefsessel in der Öbag (400.000 Euro). Man kann davon ausgehen, dass im Umfeld des Kanzlers wichtige Personalia nicht dem Zufall überlassen werden. Kurz entgegnet, nicht er, sondern der Aufsichtsrat habe die Entscheidung gefällt.

11. Und was ist mit dem Vorwurf, der Kanzler haben den Aufsichtsrat selbst zusammengestellt?
Kurz kontert, er kenne höchstens vier bis fünf Mitglieder persönlich. Mit seiner Idee, Karl-Theodor von Guttenberg für das Gremium zu nominieren, um internationale Expertise einzubringen, sei er auf taube Ohren gestoßen.

12. Was sagt Kurz zu den Vorwürfen generell?
Der ÖVP-Chef ortet dahinter ein politisches Manöver. „Das Ziel ist immer dasselbe: Kurz muss weg“, klagte er gestern im Gespräch mit Journalisten. Zunächst wollte man ihn durch Demonstrationen aus dem Amt jagen, dann durch die Abwahl. „Ich habe mich nie bereichert, ich bin weder korrupt noch sonst etwas. Ich lasse mir nicht gefallen, dass versucht wird, mir das Wort im Mund zu verdrehen und dadurch eine Falschaussage zu kreieren.“

13. Und was ist, wenn er verurteilt wird?
„Das wird nicht stattfinden“, meinte Kurz am Donnerstag auf die Frage der Kleinen Zeitung.  „Mit dem Thema einer Verurteilung beschäftige ich mich nicht.“

14. Wie geht es politisch weiter?
Die ÖVP-Landeshauptleute haben sich am Donnerstag hinter ihn gestellt. Nicht unwichtig ist die Frage, wie die Grünen, aber auch der Bundespräsident reagiert, ob bzw. wann beide einmal den Stecker ziehen.

15. Und bei einer Verurteilung: Ist Kurz dann Geschichte?
Schwer zu sagen. Wohl kaum – im Gegenteil: Sollte es zu Neuwahlen kommen, wird Kurz, so die Vermutung, als Opfer politischer Intrigen, als Opfer juristischer i-Tüpferl-Reiter, als Mann des Volkes, der von der Wiener Blase gehasst wird, durchs Land ziehen. Viele dürften seiner Argumentation folgen.