Nicht erst seit Ausbruch der Pandemie ist die Belastung für pflegende Angehörige und Personen in Pflege- und Betreuungsberufen enorm. Die vergangenen Monate haben das Problem aber noch einmal deutlich verstärkt und die Situation spitzt sich weiter zu.

„Wenn nicht mehr Menschen für den Beruf gewonnen werden, können wir schon im kommenden Jahr den Bedarf im Pflegebereich nicht mehr decken“, warnt Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerks, eines der größten heimischen Pflegedienstleister. 158.000 Personen sind derzeit in Österreich in Pflege- und Betreuungsberufen tätig. Bis 2030 besteht laut Gesundheit Österreich ein Mehrbedarf von rund 90.000 Arbeitskräften.

Wie Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) diese Herausforderung konkret bewältigen will, ist noch unklar. Sein Vorgänger Rudolf Anschober hat ihm im Februar den Bericht der „Taskforce Pflege“ hinterlassen, in dem allgemeine Ziele und Maßnahmen aufgelistet werden. Eine „Zielsteuerungskommission“, in der Bund, Länder, Städte und Gemeinden vertreten sind, soll nun über das weitere Vorgehen entscheiden. Laut Ministerium finden derzeit „erste Gespräche“ statt. Rechtliche Rahmenbedingungen sollen schließlich „in der zweiten Jahreshälfte ausgearbeitet werden“. Dabei ist der Handlungsbedarf schon längst in mehreren Punkten gegeben.

Umfassende Personaloffensive

Mehr Personal kann es nur durch eine umfassende Reform der Ausbildung geben, sagt Hilfswerk-Chefin Anselm. Das Bildungssystem verwehrt derzeit allerdings vielen jungen Menschen die Möglichkeit, in der Pflege Fuß zu fassen. Gefordert wird etwa die Möglichkeit, über eine Lehre einen Pflegeberuf zu erlernen. „Gesundheits- und Sozialberufe müssen einfach ein selbstverständlicher Teil des Regelschulwesens werden“, sagt Anselm. Darüber hinaus würden auch Umschulungen große Chancen ermöglichen, neue Pflegerinnen und Pfleger zu rekrutieren. Dafür seien aber unter anderem eine Übernahme der Ausbildungskosten und eine Unterstützung während der Ausbildung vonnöten. Zusätzlich brauche es auch eine nationale Strategie zur Integration von Pflegekräften aus dem Ausland.

Gerechte Entlohnung

Pflegekräfte sollen künftig nicht nur generell mehr Geld bekommen, auch Gehaltsunterschiede unter den Pflegeberufen gehören ausgebügelt. „Es gibt nach wie vor große Unterschiede in den Bundesländern, je nachdem, ob jemand in einem Pflegeheim oder in der mobilen Pflege arbeitet“, sagt Sylvia Gassner von der Gewerkschaft vida. Die Taskforce hat eine gerechte Entlohnung als eines ihrer Ziele definiert. Konkrete Pläne, die in diese Richtung gehen, fehlen aber bisher.

Stärkung der Pflege zu Hause

Eine zukunftsfähige Pflegereform macht laut Hilfswerk besonders die Stärkung der Pflege zu Hause zum Thema. Schon jetzt werden 79 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt, nicht einmal ein Viertel der Investitionen in die Pflege entfällt derzeit aber auf mobile Dienste. Laut Sozialminister Mückstein ist ab Herbst geplant, in Pilotprojekten sogenannte Community Nurses einzusetzen, um älteren Personen sowie deren Angehörigen durch Beratung und Information niederschwellige Unterstützung zu bieten. Gefordert wird auch eine Verbesserung der Einstufungspraxis und der Grundlagen zum Pflegegeld.

Pflegereform als Wirtschaftsturbo

Nicht zuletzt hätten die vielerorts geforderten Investitionen in den Pflegebereich gerade jetzt große volkswirtschaftliche Auswirkungen. „Wir können davon ausgehen, dass ein Euro Investition in die Pflege 1,7 Euro an volkswirtschaftlicher Wertschöpfung sowie 0,7 Euro an Steuern und Sozialversicherung einbringt“, sagt Monika Riedel vom Institut für Höhere Studien. Die Mittel würden schließlich überwiegend in Personalkosten und damit in Gehälter fließen, die hauptsächlich für Konsum verwendet würden. „Das führt zu einer massiven Unterstützung der Wirtschaft“, sagt Riedel.