Der Verfassungsgerichtshof beantragt bei Bundespräsident Alexander Van der Bellennach Artikel 146 Abs 2 B-VG, dass dieser das Recht des Ibiza-Untersuchungsausschusses durchsetzt, Mails aus dem Finanzministerium geliefert zu bekommen. Bisher hatte das Ministerium unter Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) seine Pflicht, die entsprechenden Mails zu liefern, nicht ausreichend erfüllt.
Kurz nach der VfGH-Entscheidung, teilte das Finanzministerium mit, nun doch die geforderten Daten zu übermitteln. "Die VfGH-Entscheidung ist zu akzeptieren und das Bundesministerium für Finanzen wird diesem selbstverständlich unverzüglich und vollumfänglich nachkommen", hieß in einer schriftlichen Stellungnahme.
Das Finanzministerium "hat bereits bisher über 20.000 elektronische Dokumente geliefert und wird noch heute die restlichen Unterlagen an die Parlamentsdirektion übermitteln." Am Nachmittag wurden 204 Ordner an die Parlamentsdirektion übergeben, gab das Finanzressort bekannt.
Blümel habe von Beginn an den Auftrag gegeben, "vollumfänglich mit dem U-Ausschuss zusammenzuarbeiten und die notwendigen Daten, die im Übrigen nicht die Amtszeit von Bundesminister Blümel betreffen, zur Verfügung zu stellen", hieß es in der Stellungnahme.
Das Finanzministerium habe jedoch "eine Fürsorgepflicht gegenüber den 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Daher muss die Wahrung von Daten- und Persönlichkeitsschutz gewährleistet werden, da es auch um höchstpersönliche Daten wie etwa Gesundheits- und Krankendaten geht."
Van der Bellen: "An die Verfassung haben wir uns alle zu halten"
"Minister Blümel hat mir vor kurzem versichert, dass er den Auftrag des VfGH unverzüglich erfüllen wird", sagt Bundespräsident Van Der Bellen in einer Stellungnahme am Nachmittag. "Wenn ich die Information des Ibiza-Untersuchungsausschusses bekomme, dass die Unterlagen eingelangt sind, erübrigt sich die Exekution. Sollte das nicht der Fall sein, werde ich meinen verfassungsmäßigen Pflichten entsprechen", so Van der Bellen.
"Die Situation mag für viele überraschend sein, nicht aber für die Verfassung. Sie regelt unser aller Zusammenleben. Und an diese Regeln haben wir uns alle zu halten", hält der Bundespräsident fest. Dem pflichtet auch der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk bei: "Auch wenn es kein alltägliches Vorgehen ist, ist der Weg in der Verfassung klar vorgezeichnet. Diese Linie wurde nun vom VfGH und vom Bundespräsidenten verfolgt", sagt er am Donnerstagabend in der Zeit im Bild 2.
Konkret geht es um eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März. Auf Antrag von SPÖ, FPÖ und Neos hatte das Höchstgericht Blümel aufgetragen, dem U-Ausschuss die E-Mail-Postfächer sowie die lokal oder serverseitig gespeicherten der Leiterin des Beteiligungsmanagements im Finanzministerium sowie die Korrespondenzen von Ministeriumsmitarbeitern mit dem nunmehrigen ÖBAG-Chef Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, und anderen Mitarbeitern des damaligen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) zur Verfügung zu stellen.
Dem sei der Minister nicht nachgekommen, heißt es in dem Beschluss des VfGH:
"Der Verfassungsgerichtshof stellt gemäß Art.146 Abs.2 B-VG an den Bundespräsidenten den Antrag auf Exekution des rechtskräftigen und vollstreckbaren Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 2021, UA1/2021-13, welches in Spruchpunkt I. den Bundesminister für Finanzen verpflichtet, "dem Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) die E-Mail-Postfächer sowie lokal oder serverseitig gespeicherten Dateien der Bediensteten der Abteilung I/5 E. G., A. M. und G. B. sowie von Bediensteten des Bundesministeriums für Finanzen empfangene E-Mails von T. S., E. H.-S., M. K., B. P. und M. L. aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen."
Historische Präzendenzfälle gibt es keine: Wie die Hofburg der Kleinen Zeitung gegenüber bestätigt, hat es eine derartige Exekution noch nie gegeben. Verfassungrechtler Funk erklärt, dass die Sache damit aber noch nicht vorbei ist. Der U-Ausschuss müsse nun prüfen, ob tatsächlich alles geliefert wurde. Andernfalls "könnte ein neues Ersuchen an den VfGH ergehen, mit der Aufforderung an den Bundespräsidenten, die nötigen Schritte zu setztn", sagt Funk.
SPÖ und FPÖ fordern Rücktritt von Blümel
Die Opposition nahm dies zum Anlass für heftiger Kritik an der ÖVP. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch und FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker forderten den Rücktritt Blümels.
FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer kritisierte nicht nur die ÖVP, sondern auch den Bundespräsidenten. Er sprach von einem "Skandal erster Güte", dass Van der Bellen über Wochen zu der Causa geschwiegen habe und jetzt wohlwollend zur Kenntnis nehme, dass Blümel unter Androhung der Exekution die Akten liefere.
SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer sprach von einer "wegweisenden
Entscheidung" des VfGH und betonte, dass niemand über dem Gesetz und der Verfassung stehe. Seine NEOS-Kollegin Stephanie Krisper findet es "beschämend", dass so ein einzigartiges Vorgehen nötig ist.
Dass Blümel der Aufforderung des VfGH zwei Monate lang nicht nachgekommen ist, bezeichnet auch Verfassungsrechtler Funk als "nicht undelikat". Von einem Bruch der Verfassung würde er zwar noch nicht sprechen, Blümel habe aber jedenfalls "grenzwertig" gehandelt, sagt Funk in der ZIB 2.
Einen weiteren Antrag der Opposition in dieser Causa hat der VfGH jedoch abgewiesen: Einsicht in die vom Finanzministerium dem VfGH vorgelegten Dateien sei nicht angebracht, weil "keine konkreten Rechtsschutzinteressen vorliegen". Es sei keine Akteneinsicht zu gewähren, wenn deren Gewährung bereits den Streit darüber entscheiden würde, ob die Akten überhaupt dem Untersuchungsausschuss vorgelegt werden müssen, stellten die Verfassungsrichter fest.
Noch nicht entschieden hat der VfGH in Sachen Meinungsverschiedenheiten zwischen Opposition und Bundeskanzler Kurz über die Aktenvorlage im U-Ausschuss. SPÖ, FPÖ und NEOS haben mehrfach beklagt, kein einziges Mail und keinen einzigen Kalendereintrag des Kanzlers erhalten zu haben.
Über ihre Anträge dazu werden die Beratungen kommende Woche fortgesetzt, teilte der VfGH am Donnerstag mit. Das Kanzleramt hat dem Gerichtshof in diesem Verfahren 692 Mails von Mitarbeitern übermittelt, wonach sie in einem "umfassenden Suchprozess" keinerlei "abstrakt relevante Akten und Unterlagen" gefunden haben.
Georg Renner