Nach dem Vorstoß von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) gegen die Wahrheitspflicht in Untersuchungsausschüssen zieht die SPÖ genau in die Gegenrichtung.
Es brauche die Pflicht in allen Kontrollausschüssen im Parlament, forderten Vizeklubchef Jörg Leichtfried und Abgeordnete Karin Greiner in einer Pressekonferenz. Sobotka fühle sich nur der "türkisen Familie" verpflichtet und wolle wohl, dass man zukünftig in Ausschüssen lügen dürfe, meinte Leichtfried.
Der Klubvize sprach angesichts des Agierens Sobotkas von einem "traurigen Schauspiel", sein parteiisches Verhalten sei in der Geschichte der Zweiten Republik einzigartig. Je mehr die ÖVP unter Druck gerate, desto ungenierter agiere er.
Sobotka stelle sich auf die Seite der Aktenvernichter und Vertuscher, so der Vize-Klubchef, und nun wolle er den Ministern im Untersuchungsausschuss gar die "Lizenz zum Lügen" erteilen: "Er hat sich den Goldenen Pinocchio für diese Aktion verdient."
SPÖ: Nur ÖVP hat Problem mit U-Ausschuss
Die SPÖ will stattdessen die Wahrheitspflicht erweitern, etwa auch auf dem "kleinen U-Ausschuss", also den Unterausschuss des Rechnungshofausschusses. Es entstehe der Eindruck, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dort in Sachen 200-Mio.-Euro-Deckel für die Impfstoffbeschaffung Österreichs die Unwahrheit gesagt habe, meinte Leichtried.
Auch Greiner sah das so: "Die Aussagen des Bundeskanzlers und die Akten widersprechen einander diamentral". Außerdem sprach sich die SP-Fraktion erneut für Öffentlichkeit der U-Ausschusssitzungen aus.
Die ÖVP machte sich am Donnerstag für eine Reform der U-Ausschuss-Verfahrensordnung stark und stellte dafür ihren Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl in die Auslage. Dieser sprach in einer Aussendung von einer "negativen Dynamik im aktuellen System". Die SPÖ zeigte sich ablehnend. "Die einzige Partei, die massive Probleme mit dem U-Ausschuss hat, ist die ÖVP", so Leichtfried. Sie wolle die Wirksamkeit der Ausschüsse schmälern.
Gerstl selbst sieht das anders. Ihn stört, dass im Ibiza-Untersuchungsausschuss erstmals die "Abrechnung mit einer gesamten Regierungsperiode" erfolge und es - durch Strafanzeigen aus dem Ausschuss heraus, die Aktenlieferungen der Justiz erzwingen - zur laufenden Kontrolle der Regierungsarbeit komme, wie er gegenüber der APA erklärte: "Da muss nachgeschärft werden." Er sprach von bewusster politischer Inszenierung, "das wollen die Österreicher nicht".
Dass er dafür kaum die nötige Zweidrittelmehrheit zustande bringen wird, ließ Gerstl nicht gelten. "Auch die Opposition hat mehrere Wünsche", meinte er: "Ich bin sehr aufgeschlossen für mehr Öffentlichkeit, mehr Kontrolle und mehr Persönlichkeitsschutz." Mit den Verhandlungen will er nach Ende des Ibiza-U-Ausschusses beginnen. "Bevor ein neuer eingesetzt wird, sollen schon die neuen Regeln gelten", so seine Zielvorstellung.