Der 1. Mai hat in der Geschichte der Sozialdemokratie eine besondere Bedeutung ‒ auch in der jüngsten, auch in der österreichischen. Fünf Jahre ist es her, dass der Parteivorsitzende, Bundeskanzler Werner Faymann, beim Maiaufmarsch von seinen Genossen ausgepfiffen wurde. Dazu wird es dieses Jahr nicht kommen ‒ der Maiaufmarsch in Wien findet wegen Corona nicht statt.

Doch innerparteiliche Konflikte kochen trotzdem hoch. Per Brief informierte der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil seine Parteikollegen am Montag, dass er sich aus den Führungsgremien der Bundespartei zurückziehe. „Dass Hans Peter Doskozil ausgerechnet vor dem Tag der Arbeit mit der Partei bricht, ist ein doppeltes Foul“, sagt eine Genossin.

In den letzten Monaten hat der burgenländische Landeshauptmann die inhaltliche Linie der Bundespartei mehrfach konterkariert. Dazu stellte er Parteichefin Pamela Rendi-Wagner indirekt infrage: In Interviews sprach er sich dafür aus, nicht sie solle automatisch Spitzenkandidatin bei der nächsten Nationalratswahl sein, sondern der- oder diejenige mit den höchsten Zustimmungswerten in der Bevölkerung.

Zurufe zu Arbeits-, Flüchtlings- und Coronapolitik

  • Als Rendi-Wagner vergangenen Sommer auf der Klubklausur eine Verkürzung der Arbeitszeit propagiert, nennt Doskozil das „lächerlich“. Eine Vier-Tage-Woche sei „nicht ein Kurs, der die Sozialdemokratie wieder zurück in die Regierung bringt“. Doskozil wollte auf einen Mindestlohn setzen, wie er ihn im Burgenland bei Landesbediensteten eingeführt hatte.

  • Als sich die Lage in den Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln dramatisiert, fordert Rendi-Wagner, dass Österreich Flüchtlingskinder aufnimmt. „Leben retten ist niemals Symbolpolitik“, sagte sie. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig waren bereit, Kinder aufzunehmen, wenn die Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen würde. Hans Peter Doskozil sprach sich dagegen aus: "Ich halte wenig von Einzelmaßnahmen, um sein soziales Gewissen zu beruhigen und wieder zusehen zu können, wie täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken.“

  • Als Pamela Rendi-Wagners Warnungen vor weiteren Öffnungsschritten im März immer lauter werden, wandte sich Doskozil mit einem Schreiben an die Öffentlichkeit, in dem er ihrer Linie widersprach. Er forderte einen Plan B, weil „mehr und mehr Leute den Lockdown schlechter und schlechter einhalten“. „Wer die unzähligen Opfer der Dauer-Lockdowns ignoriert, nur um den Kurs nicht ändern zu müssen, handelt zynisch“, folgert er. Dem harten Lockdown in Ost-Österreich schließt er sich nach dreitägigen Verhandlungen zwar an ‒ er öffnet das Burgenland aber, bevor Wien und Niederösterreich das tun.

Warum jetzt?

In einem ZiB2-Interview kritisiert Rendi-Wagner ihn daraufhin deutlicher als je zuvor: Die Öffnungen seien „zu früh“, die Zahlen gäben „das überhaupt nicht her“, sagte sie. Gefragt, ob Doskozil also ein zu hohes Risiko eingehe, antwortete sie: "Das ist so." Sie hoffe, ihm sei die Situation bekannt.

War es dieses Interview, das Doskozil zum Briefeschreiben bewog? In der Partei wundert es manche, dass Rendi-Wagner, der er vielfach Anlass für eine Retourkutsche gegeben hat, ausgerechnet die Corona-Politik wählte, um ihn öffentlich zu kritisieren. Sie habe sich einen Prellbock geschaffen, um am Parteitag für sich zu mobilisieren, mutmaßen einige.

Rendi-Wagners öffentliche Kritik sei nicht der Anlass für Doskozils Entscheidung gewesen, heißt es im Burgenland. Auch der 1. Mai habe keine Rolle gespielt. Der Brief sei am Ende eines längeren Prozesses gestanden. Man wollte die Entscheidung, nicht mehr im Parteivorstand zu kandidieren, mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf zum Parteitag am 26. Juni kommunizieren, um den medialen Druck dann rauszunehmen.

"Maximaler Schaden"

„Mit dieser Vorgangsweise hat Doskozil einen maximalen Schaden für die Bundes-SPÖ anrichtet ‒ und auch für sich selbst“, sagt Politikberater Thomas Hofer am Dienstag im Ö1-Morgenjournal: „Noch vor eineinhalb Jahren konnte er sich berechtigte Hoffnungen auf den Bundesparteivorsitz machen“, so Hofer. Seither habe er sich selbst beschädigt.

In der SPÖ sehen das nicht alle so: „In der Pandemie hat Doskozil einige Minuspunkte gemacht. In der Bevölkerung ist er allerdings gut positioniert“, sagte ein Genosse. Dass er in dem Brief auch Selbstkritik übt, habe viele überrascht. Sogar ein Comeback im Bund sei nicht ausgeschlossen: Man werde nun mit Argusaugen darauf schauen, wie ernst er es meint, sich nicht zur Position der Bundespartei zu äußern ‒ und wohl in ein paar Wochen eingestehen müssen, dass seine politische Linie die Mehrheitsmeinung sei.

Thomas Hofer glaubt nicht, dass der Brief ‒ wie er es vorgibt ‒ innerparteiliche Konflikte lösen wird. Und auch nicht, dass Doskozil sich von der bundespolitischen Ebene zurückzieht. Als Landeshauptmann wird sich Doskozil jedenfalls noch äußern. Innerhalb der politischen Gremien der SPÖ wird er das allerdings nicht mehr tun.

Rätseln über Stellvertreter

Wer künftig die Stellvertreter von Bundesparteichefin Rendi-Wagner sein werden, ist offen. Nicht nur, dass diese erst beim Bundesparteitag am 26. Juni gewählt werden. Unklar ist auch der Modus. Fix ist derzeit nur eines: Statt jetzt 17 sollen es nur noch sechs sein. Keine automatischen Fixplätze also für die roten Landesparteichefs aller Bundesländer, keine automatischen Fixplätze für Obleute von Fach- und Nebenorganisationen. In Kärnten geht man in den roten Reihen dennoch davon aus, dass Peter Kaiser Bundesparteiobfrau-Vize bleibt. "Er hat sein Standing in der Bundespartei", betont Landesgeschäftsführer Andreas Sucher. Im letzten Bundesparteivorstand vor dem Parteitag werde entschieden, nach welchem Modus die Stellvertreter(aus)wahl erfolgen soll.

Der steirische SPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter Anton Lang will sich auf Anfrage der Kleinen Zeitung zu Doskozils Brief nicht äußern: "Es gilt nun, alles daranzusetzen, die Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen und nicht darum, Personaldiskussionen innerhalb der SPÖ zu führen. Daher werde ich meine Meinung auch weiterhin nicht öffentlich, sondern in den zuständigen Gremien kundtun.“

Für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ist es "keine große Überraschung", dass Doskozil nicht mehr als stellvertretender Parteiobmann kandidieren wird. Immerhin wisse man seit der letzten Statutenreform, dass die Beisitzerinnen und Beisitzer im Präsidium von 17 auf sechs Personen reduziert würden: "Da werden nicht alle Bundesländer einen Platz finden können."