Ein neuer Rekord an antisemitischen Vorfällen wurde im letzten Jahr in Österreich verzeichnet. Bei der Meldestelle der Kultusgemeinde trudelten 585 Meldungen ein, das entspricht einem Plus von 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. So viele Übergriffe wie 2020 wurden noch nie seit der Beginn der Dokumentation vor knapp 20 Jahren gemeldet.

Konkret wurden elf physische Angriffe registriert, darunter die Attacke auf den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde in Graz oder der Mordversuch an einem Rabbiner vor eine Straßenbahnhaltestelle in Wien. Die Sicherheitsbehörden gehen in der Zwischenzeit davon aus, dass der Terroranschlag Anfang November im Bermudadreieck in Wien auch der jüdischen Gemeinde gegolten hat. Bekanntlich war die Synagoge zu dem Zeitpunkt bereits geschlossen, in den Tagen nach dem Anschlag wurde die jüdische Community aufgefordert, nicht auf die Straße zu gehen und die Öffentlichkeit zu meiden.

In 22 Fällen wurden Personen, die eine Kippa trugen oder an ihrer Kleidung zu erkennen waren, tätlich bedroht. Bei der Vorlesung eines FPÖ-nahen Historikers wurde der Präsident der österreichischen Hochschülerschaft von einem Besucher mit dem Ruf „Juden raus“ empfangen. Eine orthodoxe Familie wurde beim Picknick auf der Donauinsel von Jugendlichen beschimpft. In den sozialen Medien ergoss sich eine Flut an antisemitischen Postings.   

Juden werden im Vorfeld von Demos per SMS gewarnt

Besonders auffallend ist der zeitliche Zusammenfall mit Corona. Während des ersten Lockdowns gingen die antisemitischen Übergriffe stark zurück. Zu Beginn des zweiten Lockdowns im November und Dezember, als die Corona-Demos an Fahrt aufnahmen, explodierten die Meldungen. Im Dunstkreis von Corona machten vor allen antisemitische Verschwörungstheorien wie auch Fälle von Shoa-Relativierung die Runde, im großen Stil wurde der „Judenstern“ bei Demonstrationen wie auch im Netz missbraucht. Die bewusste Instrumentalisierung dieses einprägsamen Symbols sei ein „weiterer Versuche, entsprechende Hemmschwellen zu reduzieren sowie jahrzehntelange Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu torpedieren“, heißt es in dem Bericht.

Auch das sichtbare Auftreten organisierter rechtsextremem Kreise bei den Demos bereitet zunehmend Kopfzerbrechen. Seit Jänner werden die Mitglieder der jüdischen Community im Vorfeld von Corona-Demonstrationen per SMS gewarnt. Dass viele antisemitische Kommentare einen Israel-Bezug aufweisen, sei „erstaunlich, weil  der palästinensisch-israelischen Konflikt durch die Pandemie auf Eis gelegt worden war.“  

Differenziert ist der ideologische Hintergrund der Übergriffe zu beachten. So hatten 229 Vorfälle einen rechten Hintergrund, 87 einen linken, 74 einen muslimischen. Bei der Gewaltanwendung behielten Täter mit  muslimischem Hintergrund die Oberhand.  

Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, dazu:  „Gerade in der Pandemie bewahrheitet sich Adornos Ausspruch: „Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ Speziell im Internet und auf Demos werden wüste antisemitische Lügen verbreitet. Aus solchen Worten kann sich ein Flächenbrand der Taten entwickeln, wenn wir ihnen nicht entgegentreten. Der Kampf gegen Antisemitismus ist keine primäre Aufgabe der Kultusgemeinde. Wir sind in der Regel die ersten Betroffenen.“