Die Regierung hat beschlossen, ab 19. Mai weite Teile der Einschränkungen aufzuheben. Wie passt das mit der nach wie vor prekären Infektionslage zusammen?
Wolfgang Mückstein: Es ist jetzt wichtig, die Öffnungsschritte mit einer gewissen Vorlaufzeit zu kommunizieren. Um eine Perspektive zu geben. Man muss aber außer Streit stellen, dass es zuerst um die Intensivbetten-Belegung und die Sieben-Tages-Inzidenz geht.
Im Parlament haben Sie erklärt, „Wenn es darum geht, Leben zu retten, mache ich keine Kompromisse“. Ist diese Öffnungs-Ankündigung nicht ein riesiger Kompromiss?
Wir öffnen nicht morgen, sondern eben erst ab 19 Mai. Bis dahin beobachten wir genau und die Bundesländer können die Maßnahmen dann noch verschärfen, sollte dies notwendig sein.
Mehr als 10.000 Menschen sind in Österreich bereits an Covid gestorben. Kennen Sie welche?
Ich kenne viele Geschichten und habe als Arzt viele Patienten ins Spital geschickt. Aber in meinem persönlichen Umfeld ist zum Glück niemand an Covid gestorben.
Bundeskanzler Kurz meinte vor einem Jahr, bald werde jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben sei. War das ein Fehler?
Ich werde dem Bundeskanzler nichts ausrichten. Für mich beginnt es jetzt. Wenn wir jetzt alles richtig machen, haben wir gute Chancen, dass wir über den Sommer die Zahlen senken und viele Leute durchimpfen. Mein Plan ist, dass wir durch anständige Tests garantieren können, dass es im Herbst wieder permanenten Präsenzunterricht gibt.
In Tirol und Kärnten steigen die Zahlen stark an, in Wien und Niederösterreich sinken sie. Trotzdem herrscht dort noch mindestens eine Woche Lockdown. Das Burgenland hat nur zehn freie Intensivbetten, aber aufgesperrt. Wie passt das alles zusammen?
Die Situation ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Ich finde den Weg von Wien und Niederösterreich sehr verantwortungsvoll und bin den Landesspitzen dankbar dafür. In Vorarlberg hat sich der Anteil der britischen Mutation etwa seit der Öffnung auf 95 Prozent verdoppelt, dafür wird viel getestet. Als Gesundheitspolitiker muss man jetzt eines tun: Sich an die Empfehlungen der Experten, was die Unterschreitung einer gewissen Inzidenz und freie Kapazitäten bei den Intensivbetten betrifft, halten.
Wird es weiter bei den Landeshauptleuten liegen, Öffnungen oder Schließungen zu beschließen, oder nehmen Sie das in die Hand?
Es wird jedenfalls weiter ein duales System geben, wo Landeshauptleute strengere Reglen vorsehen können. Klar ist: Bundesweite Rahmenvorgaben sind einzuhalten. Die Landeshauptleute entscheiden mit und setzen auch selber um.
Viele wollen nicht mit AstraZeneca geimpft werden. Muss der Impfplan geändert werden?
Nein, weil der Impfstoff sicher ist. Nebenwirkungen sind sehr, sehr, sehr selten. Statistisch gesehen erleiden zehn Leute von einer Million eine behandelbare Nebenwirkung. Aber einer von zehn Coronakranken erleidet eine Thrombose. Ich hätte überhaupt kein Problem, mich selber, meine Eltern oder meine Teenager-Tochter mit AstraZeneca zu impfen.
Werden junge Menschen bei den Impfungen vorgezogen, wenn viel Impfstoff übrig bleibt?
Wir werden Anfang Juni womöglich mehr Impfstoff haben, als Impfwillige. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten und rasch die Phase 3 mit den betrieblichen Impfung ausrollen.
Anfang Juni könnte also Impfen für alle möglich sein?
Unsere Experten prognostizieren, dass wir im Juni Leute motivieren müssen, dass sie sich impfen lassen.
Sie haben im Nationalrat gesagt, Corona ist noch lange nicht vorbei. Wann wird das sein? Wenn es keine einzige Neuinfektion mehr gibt?
Es ist vorbei, wenn es vorbei ist. Ende des Jahres haben wir den ersten Impfstoff bekommen, alle gingen von einer raschen Durchimpfung aus. Dann ist die britische Variante gekommen, dann Lieferausfälle. Jetzt sind wir im April und in der dritten Welle. Aber jetzt geht es aufwärts.
Ok, anders gefragt: Wann werden wir uns wieder ohne Maske begegnen können?
Schauen Sie nach Israel. Die haben schnell mehr als 50 Prozent durchgeimpft und jetzt ein neues Leben.
Ab einer Durchimpfungsquote von 50 Prozent ist es vorbei?
Wenn die Viruslast niedrig ist und viele Menschen geimpft sind, könnte das so sein. Deshalb müssen wir jetzt die Zahlen senken und nachvollziehbar erklären, warum es so wichtig ist, jetzt zu impfen und zu testen. Erst in einem dritten Schritt können wir über große Öffnungen nachdenken. Jetzt über die Party im Sommer zu reden ist mir einfach zu früh. Jetzt müssen wir die Intensivstationen schützen.
Sind Sie für eine Impfpflicht?
Nein, weil die Leute, die sich definitiv nicht impfen lassen wollen, es auch dann nicht tun werden. Wir müssen die Leute überzeugen und Anreize schaffen, sich impfen zu lassen.
Wie etwa: Keine Eintrittstest für Geimpfte?
Ja, klar. Wozu soll ich mich sonst impfen lassen, wenn's so bleibt, wie vorher?
Apropos Eintrittstests: Werden Selbsttests gelten?
Die Details, wie wir das kontrollieren können, klären wir noch. Meine Position ist: Ich bin nicht der Wirtschafts- sondern der Gesundheitsminister. Mir geht es um Sicherheit und Gesundheit. So lange ich sicherstellen kann, dass die Intensivbetten nicht überbelegt sind und Menschen sterben, kann man darüber debattieren, ob der Nasenbohrer oder der Gurgeltest besser sind.