Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen ist ein ständiger Balanceakt, der gerade in den letzten Monaten zu einer noch größeren Herausforderung geworden ist. Der am Mittwoch präsentierte Familienbericht, der verschiedene Entwicklungen zum Thema zwischen 2009 und 2019 abbildet, zeigt, dass das Spannungsfeld schon länger existiert, in den letzten Jahren aber wesentlich an Bedeutung gewonnen hat.
“Sowohl Frauen als auch Männer befinden sich in einer Zwickmühle”, sagt Wolfgang Mazal, der das Österreichische Institut für Familienforschung leitet, wobei Männer die Konflikte im Bezug auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie mittlerweile ähnlich deutlich spüren würden wie Frauen.
Zurückzuführen ist das größer werdende Spannungsfeld auf die Veränderungen am Arbeitsmarkt. Über 70 Prozent der Frauen verfügen mittlerweile über einen Job, was dazu führt, dass weniger Zeit für andere Dinge bleibt. Männer würden zwar vermehrt Aufgaben innerhalb der Familie übernehmen, nicht aber im gleichen Ausmaß.
Gleichzeitig werden die Jobs immer flexibler gestaltet. Statt im Büro kann öfter von zuhause gearbeitet werden, wodurch sich auch Arbeitszeiten verändern. Die Grenzen zwischen Berufs- und Familienzeiten lösen sich durch diese Flexibilisierung zusehends auf. Das Arbeiten von zuhause und am Computer führt auch dazu, dass bereits früh morgens, am Abend oder auch am Wochenende gearbeitet wird. Zeit für die Familie, so der Bericht, bleibe dadurch immer öfter nur in Zeitlücken.
Mazal betont in diesem Zusammenhang aus arbeitsrechtlicher Perspektive vor allem die Verantwortung, die hier Arbeitgebern zukommt: “Wir haben hier aus Sicht des Staates was die Familienpolitik betrifft das Ende der Fahnenstange erreicht.”
Es gebe eine Vielzahl an arbeitsrechtlichen Ansprüchen wie Pflegefreistellungen, Elternteilzeit oder Karenz. “Je mehr wir vom Staat fordern, desto mehr lenken wir aber den Blick weg vom eigentlichen Akteur, der gefordert ist. Wenn ein Mann zu seinem Vorgesetzten sagt, dass er gerne in Karenz gehen möchte und dann von seinem Vorgesetzten die Frage gestellt bekommt, ob er seine Frau nicht im Griff hat, kann der Staat nichts mehr machen.” Die Politik habe enorm viel unternommen, betont Mazal: “Aber jetzt sind andere gefordert.”
Betreuungsquote von Kindern sprunghaft gestiegen
Ein zentraler Punkt in diesem Zusammenhang stellt die Kinderbetreuung dar. Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) verweist darauf, dass von 2009 bis 2019 über 70.000 zusätzliche Plätze in elementaren Bildungseinrichtungen geschaffen worden seien, davon über 40.000 für unter 3-Jährige.
Die Betreuungsquote der bis 3-Jährigen ist dadurch in den vergangenen zehn Jahren sprunghaft gestiegen. Österreichweit hat sich die Zahl an institutionell betreuten Kindern zwischen 2008 und 2018 mehr als verdoppelt. Der Anteil an unter Dreijährigen in Kinderbetreuung ist von 14 Prozent auf 26,5 Prozent gestiegen. Besonders stark stieg die Zahl an institutionell betreuten Kindern unter anderem in der Steiermark (+161% im Vergleich zu 2008). “Es geht weiter darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Betreuungseinrichtungen auch in ihren Öffnungszeiten flexibler sind, und das Angebot noch größer wird”, sagt Raab.
Mazal gibt dahingehend aber zu bedenken, dass sich durch die steigende Zahl an Betreuungseinrichtungen bzw. Kindern in Betreuung weitere Konflikte in Familien ergeben könnten. Die Frage, warum man sein Kind nicht zuhause behält dränge sich dadurch noch stärker auf. “Ein erheblicher Teil der nächsten Generation entscheidet sich gegen das Lebensmodell als Mutter. Diese Entwicklung sollte man nicht unterschätzen", so Mazal.
Andreas Terler