Wer sich am Montagabend dafür interessierte, wer Kanzlerkandidat der CDU wird, konnte diese Woche so nah dran sein wie noch nie. Wer diversen Reportern deutscher Blätter (allen voran „Bild“ und „Welt“) via Twitter oder auf deren Webseiten folgte, bekam praktisch in Echtzeit Meldungen, welcher Landesparteichef was über welchen Kandidaten in die Diskussion warf. Dinge, die die manche von ihnen wohl nicht öffentlich sagen würden – „Ich habe lieber einen Kanzler der CSU als der Grünen“, begründete etwa der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans seine Unterstützung für Markus Söder.
„Leaks“, also die Veröffentlichung geheimer Inhalte aus internen Sitzungen oder Papieren, gehören seit jeher zum politischen Handwerk – aber noch nie zuvor war das so unmittelbar möglich wie heute, wo am Rande von Videokonferenzen nicht einmal mehr andere Sitzungsteilnehmer kontrollieren können, ob einer der Teilnehmer mittippt oder vielleicht sogar sein Telefon angeschaltet lässt, um Fremde zuhören zu lassen.
Auch in Österreich ist das Thema, wie viel Vertraulichkeit bzw. Öffentlichkeit Politik braucht, gerade virulent – einerseits, weil mit dem Informationsfreiheitsgesetz, dessen Begutachtung im Parlament soeben zu Ende gegangen ist, weite Teile von Akten veröffentlicht werden sollen (wogegen vor allem Lokalpolitiker Sturm laufen).
Andererseits, weil die Öffentlichkeit mit umfangreichen Zitaten aus Strafakten in den vergangenen Wochen Einblick in politische, aber auch persönliche Privatgespräche von Politikern und Amtsträgern bekam – was die ÖVP dazu gebracht hat, ein Verbot solcher Zitate zu fordern.
Ein „verfahrenes“ Spannungsverhältnis zwischen der notwendigen Vertraulichkeit bei parteipolitischen Entscheidungen und dem öffentlichen Wunsch nach Transparenz sieht Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.
„Niemand will die ,smoke-filled rooms' zurück, in denen sich alte Männer im Geheimen alles ausmachen“, sagt Filzmaier – aber auch das andere Extrem, dass Politiker jede Idee transparent machen, bevor sie sie noch mit irgendwem besprochen haben, sei auch nicht zielführend.
Der Frage, wie viel Vertraulichkeit Politik haben darf und soll, sei das rechte Maß abhanden gekommen, sagt der Politikwissenschaftler: Die „unglaublich beschleunigte Medienwelt“ übe hier einen Druck aus. dem schwer zu widerstehen sein. Georg Renner
Georg Renner