Etwa zwei Wochen ist es her, dass ein Wiener Hausarzt in einer Diskussionsrunde auf Puls 24 saß. „Ich möchte kein Politiker sein“, sagte er: „In dieser Situation kann man viel mehr falsch machen als richtig.“ Der Arzt hieß Wolfgang Mückstein. Am Dienstag wurde er als neuer Gesundheitsminister vorgestellt.
Keine drei Stunden vergingen nach dem Rücktritt von Rudolf Anschober, bevor Vizekanzler Werner Kogler dessen Nachfolger präsentierte. Wolfgang Mückstein, 46 Jahre alt, Allgemeinmediziner in Wien und grüner Mandatar in der Ärztekammer. Ein Hausarzt, überlegte man bei den Grünen, genieße hohes Vertrauen in der Bevölkerung.
Am Vortag habe Werner Kogler ihn gefragt, erzählt Mückstein. Er habe darüber nachgedacht und dann zugesagt. „Ich möchte mithelfen, dass wir alle so gut wie möglich durch die Krise kommen“, sagt er. Als Vater von zwei Töchtern, die im Wiener Lockdown derzeit wieder einmal nicht in die Schule gehen dürfen, aber auch in der Ordination habe er gesehen, wo die Herausforderungen liegen. Am Dienstag stellte Mückstein sich der Öffentlichkeit vor – in Sakko, Jeans und nachhaltig produzierten Sportschuhen. "So, wie ich normalerweise in die Praxis gehe", sagte er.
Vom Hausarzt zum Spitzenpolitiker
Innerhalb von wenigen Stunden wurde der Hausarzt zum Spitzenpolitiker. Und das kam so: Auf Anraten seiner Ärzte habe sich Rudolf Anschober am Wochenende zu der Entscheidung durchgerungen, zurückzutreten. Daraufhin rief die grüne Regierungsspitze bei Sigrid Pilz an. Die 62-Jährige saß lange für die Grünen im Wiener Gemeinderat und deckte unter anderem die Missstände im Pflegeheim Lainz auf. Davor war sie Beamtin im Sozialministerium. Sie kennt sowohl die fachliche als auch die politische Seite des Gesundheitswesens. „Ich habe gründlich überlegt“, sagte Pilz. Doch schließlich sagte sie ab. Sie wollte lieber Patientenanwältin in Wien bleiben.
Die Wiener Grünen brachten in der Nachfolgersuche noch einen anderen Namen ins Spiel: Wolfgang Mückstein. Seit Jahren ist er der Vertrauensarzt der Grünen für gesundheitspolitische Fragen. Und nicht nur das: Seine Ordination liegt im Herzen von Mariahilf, mitten im grünen Kernland Wiens, und wird von etlichen Grünen-Mandataren besucht. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist Patient in der Gemeinschaftspraxis und schon das eine oder andere Mal von Mückstein behandelt worden.
Das Primärversorgungszentrum, das Mückstein mit Kollegen betreibt, war in Wien das erste seiner Art. Die grüne Regierungsspitze sieht darin nicht nur ein Indiz für Pioniergeist, sondern auch für Stehvermögen und Durchhaltekraft. "Er packt an, er hat’s bewiesen", sagt Werner Kogler. Auch Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres erkannt die Leistung an: „Das hat er sicherlich nicht aus finanziellen Gründen getan.“
Berater in Stadt und Bund
In die bundespolitischen Zirkel hob ihn die ehemalige Wiener Grünen-Chefin Birgit Hebein. Sie holte ihn während der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP im Herbst 2019 in ihr Team, er sollte beim Gesundheitskapitel im Koalitionsabkommen mitreden. „Schon lange konnten wir auf seine Expertise zurückgreifen, daher war meine Auswahl eine logische Konsequenz“, sagt Hebein.
Obwohl Mückstein nie auf einer Liste für die Grünen kandidierte, ist er schon lange im Umfeld der Partei aktiv: Er ist einer von sieben grünen Mandataren in der Wiener Ärztekammer. Im Frühling 2019, als es um das Comeback der Grünen ging, engagierte er sich im Europawahlkampf. Er war der Lieblingsexperte der Wiener Grünen, der bei Pressekonferenzen zu medizinischen Themen Stellung nahm. Im Laufe des letzten Jahres tat er das zunehmend auch auf Bundesebene: Im Oktober trat er mit seinem Vorgänger Rudolf Anschober bei einer Pressekonferenz zu Coronatests bei Hausärzten auf. Bei der Erarbeitung der Impfstrategie holte Anschober ihn als Berater an den Tisch. Mücksteins Anstoß: das Impfen in möglichst vielen Hausarztpraxen möglich zu machen.
Keine Angst vorm Lockdown
Auch Mückstein selbst ist einer jener Hausärzte, die in Wien nächste Woche in ihren Ordinationen mit dem Impfen beginnen. Dafür wird die Stadt nun einen Ersatz suchen müssen. Denn als Minister wird es ab Montag nicht Mücksteins Aufgabe sein, Impfungen zu verabreichen, sondern den dringend nötigen Impfstoff dafür zu organisieren. „Es wird dauern, bis alle geimpft sind“, sagt Wolfgang Mückstein am Dienstag. Bis dahin, das machte er deutlich, schrecke er auch nicht vor harten Maßnahmen zurück. Als Leitlinie nahm er sich vor: “Ich werde unpopuläre Entscheidungen treffen, wenn ich diese als Mediziner für nötig halte."
Auch wenn man, wie Mückstein als Arzt kürzlich feststellte, in dieser Situation mehr falsch machen kann als richtig: Als Minister sollte er es umgekehrt machen.