Eigentlich hätten die anwesenden Medienvertreter heute in der Wiener Nationalbibliothek ihre liebe Not damit gehabt, die erforderlichen Sicherheitsabstände zueinander einzuhalten. Denn laut Ladungsliste sollte am Nachmittag eine der spannendsten Auskunftspersonen den Saal des Ibiza-Untersuchungsausschusses betreten - Oliver R.. Der langjährige Sicherheitschef des ehemaligen FPÖ-Chefs und Ex-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache hatte seien damaligen Chef schwer belastet - unter anderem mit Scheinrechnungen und unerlaubten Spesenzahlungen. Und damit einiges zu dessen rasanten politischen Abstieg beigetragen.
Doch Oliver R. kommt nicht. Darauf haben sich die im Ausschuss vertretenen Fraktionen mit dem Justizministerium geeinigt. Denn die Staatsanwaltschaft hatte im Vorfeld Bedenken geäußert, dass die Befragung laufende Ermittlungen in Straches Spesenencausa gefährden könnte. Deshalb sei R. aus "kriminaltaktischen und ermittlungstechnischen Erwägungen" zu entschuldigen, denn man fürchte eine Beeinträchtigung seiner Kooperationsbereitschaft. Laut SPÖ-Fraktion habe das Justizministerium seine Gründe glaubwürdig darbringen können, man habe zudem kein Interesse daran, laufende Ermittlungen zu behindern.
Bodyguard führte Doppelleben
Oliver R. ist wohl eine der spannendsten Figuren, die beim tiefen Fall Straches eine Rolle gespielt haben. Jahrelang führte der ehemalige WEGA-Polizist eine Art Doppelleben an der Seite seines Vorgesetzten. Dort gab er sich als enger Vertrauter, galt als bedingungslos loyal, wenn auch etwas großspurig.
Doch vor einigen Jahren kommt es zum Bruch mit dem Chef. Nach seiner Rückkehr aus einem längeren Krankenstand habe ihn Strache ersetzt und ihm deutlich weniger Geld gezahlt. Die Enttäuschung des Bodyguards sei groß gewesen. R. gab sich danach weiter loyal, arbeitete sich zurück. Gleichzeitig begann er jedoch, über Jahre Scheinrechnungen des damaligen freiheitlichen Parteichefs zu sammeln. Und er pflegte ein enges Verhältnis zu Anwalt M., der heute als Drahtzieher des Videos gilt. Der hatte offenbar Interesse an den Dingen, die R. über Straches Privatleben wusste.
Die gesammelten Unterlagen über Strache liegen heute bei der Staatsanwaltschaft, nachdem Beamte im September 2019 den Wohnsitz des Sicherheitsmannes durchforstet hatten. Strache selbst beteuert hingegen seine Unschuld. Seinem Ex-Sicherheitsmann wirft er persönliche Bereicherung und aktive Teilnahme an einer angeblichen Verschwörung gegen ihn vor.
R. wusste vor Veröffentlichung von Ibiza-Video
Von der Existenz des Ibiza-Videos hat R. schon lange vor Veröffentlichung gewusst. Er war mit den Hintermännern in Kontakt und soll versucht haben, belastendes Material über seinen Chef der politischen Konkurrenz angeboten haben.
Die ehemalige und langjährige Assistentin von Strache, Karin S., hatte im Dezember 2019 bei ihrer Einvernahme ausgesagt, dass der Sicherheitsmann bereits im April davon gesprochen habe, dass es etwas gebe, das die Regierung sprengen könnte. Wenige Tage vor Veröffentlichung des Videos soll er präzisiert haben, dass es sich um ein "Video mit blöden Aussagen" handle. Hauptakteure darin: Strache und der damalige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus.
Strache schreibt Enthüllungsbuch
Vor Strache gab sich R. in dieser Zeit weiterhin loyal. Dass der erfolgsverwöhnte Vizekanzler in den Monaten vor Platzen der Ibiza-Bombe keinerlei Misstrauen gegenüber seinem Sicherheitsmann gehegt hat, zeigt auch der Umstand, dass dieser Teil seiner Delegation war, als Strache zu seinem umstrittenen Besuch bei Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán aufgebrochen war. Am 6. Mai fand das Treffen statt - elf Tage später werden die Videoausschnitte von zwei deutschen Medien veröffentlicht.
Wann R. nun im Ausschuss befragt werden kann, ist noch unklar. Die Ermittlungen laufen, die Fraktionen im Ausschuss zeigen sich gelassen. Weniger gelassen dürfte indes der Inhalt jenes Buches ausfallen, dessen Veröffentlichung Strache nun angekündigt hat. Zum zweiten Jahrestag der Videopremiere soll dies veröffentlicht werden, laut "Österreich" soll es sich dabei um eine Biographie handeln. Ob R. darin auch vorkommen wird, ist freilich unklar.