Mit Ihrem Buch wollen Sie „Bock auf das Gute“ machen. Warum haben wir aktuell keinen Bock darauf?
Klaus Schwertner: Die Corona-Krise beschäftigt uns seit einem Jahr und viele können es schon nicht mehr hören – mich eingeschlossen. Wenn wir uns aber fragen, wann es einmal keine Krise gab, fällt uns kaum ein Zeitraum ein. Neu ist nur, dass sie diesmal global ausfällt, im Vergleich zu Hungersnöten oder Kriegen. Das trifft sonst nur auf die Klimakrise zu. Neu ist auch, dass wir spüren: Mein eigenes Handeln – Maske tragen, Abstand halten – kann einen Unterschied machen. Es kommt auf jede und jeden Einzelnen an.
Und was bei Corona gilt, gilt auch in vielen anderen Bereichen: Wir haben jeden Tag aufs Neue die Chance, diese Welt ein Stück besser zu machen. Auch, wenn es manchmal einfacher erscheint, von der Couch aus über soziale Netzwerke Hass und Angst zu verbreiten, haben wir immer die Option, uns für das Gute zu entscheiden. Und wenn man sieht, wie viel kleine Dinge bewegen können, motiviert das ungemein.
Haben Sie hier ein Beispiel?
Als das Wiener Neujahrsbaby 2018 so viel Online-Hass erfahren hat, weil seine Mama ein Kopftuch trägt, habe ich den „Flowerrain“ (engl. Blumenregen) gestartet. Auch ich habe mir damals im ersten Moment gedacht: Was soll ich da schon verändern können? Und dann habe ich den Menschen auf meiner Facebook-Seite eine Plattform geboten, damit sie der Familie digitale Glückwünsche schicken können, daraus wurde eine weltweite Umarmung. Wir müssen nicht zur Heldin oder zum Helden werden. Es reicht, Mensch zu sein, um Gutes tun zu können.
Sie fordern, dass wir aufeinander zuzugehen. Doch die Gesellschaft scheint in der Pandemie so entzweit wie selten. Wie also aufeinander zugehen, ohne Abstandsregeln zu verletzen?
Wie oft haben wir in der Vergangenheit schon gesagt, dass die Gesellschaft gespalten wie nie ist? Erinnern Sie sich nur an die Fluchtjahre 2015 und 2016 oder an die Bundespräsidentschaftswahl Van der Bellen gegen Hofer. Ja, es herrscht derzeit eine große Gereiztheit und Verzweiflung. Aber ich glaube, wir müssen zu allererst raus aus unseren Blasen, in denen wir uns vor allem in Sozialen Netzwerken bewegen. Nur so können wir wieder miteinander ins Gespräch kommen.
Dass das gelingen kann, zeigen Dinge wie das „Plaudernetz“, die Hotline gegen Einsamkeit der Caritas. Dort kann man sich anmelden und mit wildfremden Menschen plaudern, füreinander da sein. Und das funktioniert.
Wie sehen Sie die Corona-Demos?
Rechtsextreme Gruppierungen versuchen, bei diesen Demos ihr Gedankengut zu verbreiten. Ich warne aber davor, alle Demo-Teilnehmer als „Covidioten“ zu verunglimpfen, denn viele sind schlicht verzweifelt. Ich selbst würde dennoch nie auf eine solche Demo gehen, weil man wissen muss, wer sie für sich instrumentalisiert. Wir werden durch diese Krise nur gemeinsam kommen und nicht gegeneinander.
Die Zuschreibung „Gutmensch“ gilt als Schimpfwort. Wie oft wurden Sie schon als ein solcher bezeichnet?
Ich zähle das gar nicht. Der Begriff geht ja nicht gezielt gegen mich, aber ich appelliere dennoch dafür, dass wir uns diese Worte nicht wegnehmen und zu Kampfbegriffen machen lassen. Vor allem in den Neunzigern ist dieser Begriff dafür verwendet worden, andere klein zu machen und als naiv darzustellen. Die Welt zu retten, ist aber nicht naiv, sondern alternativlos.
Für mich geht es bei diesem Begriff um Empathiefähigkeit und die Motivation, anderen zu helfen. Das erlebe ich bei unseren Caritas-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern jeden Tag und das ist unheimlich schön. Sollte ich meine Empathiefähigkeit einmal verlieren, habe ich mir übrigens vorgenommen, den Job zu wechseln. Das ist aktuell aber noch nicht in Sicht.
Auch Ihr innerer Gutmensch sucht die Öffentlichkeit, wenn er hilft. Ist Helfen am Ende ein selbstsüchtiger Akt?
Es gibt einfach gute Gründe, gut zu sein – weil man dafür ganz viel zurückbekommt. Studien zeigen, dass Menschen, die sich dafür entscheiden, sich freiwillig für andere zu engagieren, gesünder und länger leben. Weil sie am Ende des Tages glücklichere Menschen sind. Denn wenn man mit jenen in ein Gespräch tritt, die sich im Netz lautstark empören, merkt man oft, dass da vielfach Verzweiflung dahintersteckt.
Und mit der mir zur Verfügung stehenden Öffentlichkeit kann ich manches Gute, das im Stillen passiert, aufzeigen. Ich glaube, wir sollten uns alle eines fragen: Wenn ich am Ende meiner Tage auf mein Leben zurückschaue, was will ich dann sehen?
Ihr medienöffentliches Agieren bringt Ihnen auch immer wieder viel Hass ein. Wie gehen Sie damit um?
Die Sozialen Netzwerke haben schon dazu beigetragen, dass Weltanschauungen deutlich durch ein Schwarz-Weiß-Denken geprägt sind. Diese Plattformen ermöglichen so viel Positives, sie bringen aber auch das Niedrigste aus uns heraus. Man ist sehr schnell im Urteilen und Verurteilen, auch ich muss mir das immer wieder eingestehen.
Ich habe mein eigenes Online-Verhalten inzwischen verändert, ich steige nicht mehr in jede Debatte ein. Zudem suche ich weniger öffentliche Auseinandersetzung, sondern kontaktiere jene, die mir Hassbotschaften schicken, direkt. Ich und die Caritas haben aber auch schon den Rechtsweg gegen Hass- und Lügennachrichten beschritten – erfolgreich.
Was kann die Gesellschaft aus dieser Pandemie lernen – und was sollte sie daraus lernen?
Wir müssen die schmerzliche Erfahrung machen, wie sehr wir persönliche Begegnungen vermissen. Ich hoffe aber, dass wir irgendwann auf diese Krise zurückblicken und sagen können, dass wir unser Möglichstes getan haben, um Menschenleben zu schützen.
Und vielleicht braucht es eine Pandemie, um endlich zu verstehen, dass wir jene Menschen, die für unsere Kinder und pflegebedürftigen Eltern sorgen, nicht schlechter bezahlen sollten als jene, die auf unser Geld aufpassen. Zudem wird man sich z.B. fragen müssen, ob man künftig wieder zu Meetings um die halbe Welt fliegen muss, die jetzt problemlos über Videokonferenzen funktionieren.
Was entgegnen Sie dem Vorwurf des Missionierens, wenn Sie Gutes tun?
Wenn Missionieren bedeutet, Menschen wachzurütteln und gegen den Strom zu schwimmen, dann mach ich das sehr gerne. Ich will einfach einen Denkanstoß geben und eine Einladung aussprechen, wie diese Welt jeden Tag ein Stück menschlicher, heller und gerechter werden kann. Und dafür, dass der Auftrag der Caritas im Evangelium und nicht in einem Parteiprogramm begründet liegt, bin ich auch dankbar.
Die Chats zwischen ÖBAG-Chef Thomas Schmid und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sorgen seit einer Woche für Wirbel. Auch von Druck auf die Kirche ist darin zu lesen. Was sagt das aus Ihrer Sicht über das Verhältnis der Christdemokraten zur Kirche aus?
Die Caritas ist weder türkis, noch schwarz, noch rot, blau, grün oder pink. Unser Auftrag ist eben kein Parteiprogramm und wir verändern weder nach Belieben unsere Farbe, noch unsere Haltung - Not sehen und handeln, Nächstenliebe ohne Wenn und Aber. Dafür steht die Caritas seit 100 Jahren.
Der Präsident der Caritas, Michael Landau, wünscht sich eine Entschuldigung von Kurz. Sie auch?
Michael Landau hat betont, dass wir im letzten Jahr viel über Mindestanstand gesprochen haben. Wir brauchen in Österreich jetzt dringend wieder einen gesellschaftlichen und vor allem politischen Mindestanstand.