„Die Lage ist angespannt“, sagt Arschang Valipour. Der Lungenfacharzt leitet die Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie in der „Klinik Floridsdorf“. Das Wiener Großspital ist laut Pandemieplan eines der ersten Krankenhäuser, die Covid-Patienten behandeln. Valipour und sein Team betreuen seit einem Jahr Covid-Patienten. Doch so viele wie jetzt, waren es noch nie.
Während Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Hans Peter Doskozil (SPÖ) - also jene Länderchefs, deren Bundesländer derzeit besonders hohe Inzidenzen haben - heute mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) beraten, welche Maßnahmen für die Ostregion ergriffen werden, füllen sich in Wien die Intensivstationen.
Vergangenen Oktober, kurz bevor die zweite Welle über Österreich rollte, besuchte die Kleine Zeitung schon einmal die Covid-Intensivstation in der Klinik Floridsdorf. Valipour zeigte damals, was die Behandlung von Covid-Patienten für ein Spital bedeutet: Weil sie betreuungsintensiver sind, braucht die Station ein Drittel mehr Personal, als im Regelfall. Das Personal muss - auch jetzt, wo Gesundheitsmitarbeiter geimpft sind, aufwändige Sicherheitsvorkehrungen treffen. Im Regelbetrieb können die meisten Patienten, die etwa nach einer schweren Operation auf die Intensivstation kommen, nach zwei Tagen wieder von der künstlichen Beatmung entwöhnt werden. „Bei Covid-Patienten kann das bis zu sechs Wochen dauern“, sagt Valipour. Im Oktober verbrachten die Patienten im Durchschnitt zwei bis drei Wochen auf der Intensivstation.
Fünf Monate später ist die Situation noch einmal dramatischer: „Die Situation ist ernst“, sagt Valipour. Und zwar nicht nur in seinem Spital. In Wien erschöpfen sich die Ressourcen der Spitäler zusehends: 436 Covid-Patienten brauchen derzeit in ganz Österreich ein Intensivbett. 165 davon - also mehr als jeder Dritte - werden in Wien behandelt. In der Klinik Floridsdorf, im AKH und im Krankenhaus Hietzing ist der Intensivbereich bereits ausgelastet.
Jeder 8. Patient ist wegen Covid da
Das zeigt sich auch auf der Station von Arschang Valipour: Beim Besuch der Kleinen Zeitung im Oktober wurden in seinem Krankenhaus 38 Covid-Patienten betreut. Heute sind es drei Mal so viele. Jeder achte Patient ist derzeit wegen einer Covid-Infektion im 800-Betten-Spital aufgenommen. 71 von ihnen liegen auf der Normalstation, 32 werden auf der Intensivstation künstlich beatmet und engmaschig überwacht. Auch in der Klinik Favoriten beobachtet man, wovon Intensivmediziner in ganz Österreich berichten: Die Menschen brauchen jetzt, wo die britische Mutation durchschlägt, früher ein Intensivbett. Und sie brauchen es im Durchschnitt länger.
Außerdem sinkt der Altersdurchschnitt rapide: Auf der Station von Arschang Valipour sind die Intensivpatienten im Schnitt 40 bis 45 Jahre alt. Der jüngste Patient, der heute in der Klinik Floridsdorf mit einer Covid-Infektion auf der Intensivstation liegt, ist 33 Jahre alt.
"Es gibt noch kleine Puffer. Wir sehen aber, dass es jeden Tag mehr wird“, sagt eine Sprecherin des Wiener Gesundheitsverbundes: “Wir haben zu viele kranke Patientinnen und Patienten zeitgleich.“
In Wien gibt es einen achtstufigen Covid-Stufenplan, nach dem die Bettenbelegung in den Spitälern vorgenommen wird. Dabei wird die Planung der Spitalskapazitäten mit dem laufenden Monitoring der Auslastung der Covid-Versorgungsbereiche kombiniert. "Im Moment befinden wir uns auf Stufe sechs mit 230 intensivmedizinischen Betten", so die Sprecherin.
Insgesamt verfügt der Gesundheitsverbund über rund 6.000 Normalbetten sowie 550 Intensivbetten - allerdings in Summe und nicht nur für an Covid-19 erkrankte Menschen. Werden Bettenkapazitäten für Corona-Patienten freigemacht, hat das einen Preis - nämlich die Verschiebung von geplanten Operationen.
Veronika Dolna