Selbst die sonst so besonnene Präsidentin des Rechnungshofes, Margit Kraker, nimmt sich kein Blatt vor den Mund: "Die Einbindung und Abstimmung des Bundes mit den Ländern sind sehr wichtig, dennoch dürfen sie nicht zur gegenseitigen Blockade verkommen", sagt Kraker nach dem am Montag ergebnislos vertagten Covid-Gipfel im Bundeskanzleramt.
Kraker weiß, wovon sie spricht: Als ehemalige Parlamentsjuristin, Büroleiterin des heutigen steirischen Landeshauptmannes und zuletzt Direktorin des steirischen Landesrechnungshofes kennt sie das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gut. Derzeit tue man sich offensichtlich leichter, nicht zu entscheiden und "dringend notwendige Entscheidungen" zu vertagen, als eine klare Linie vorzugeben, sagt Kraker gegenüber der Austria Presse Agentur am Dienstag.
Für das Funktionieren des Staates sei das Zusammenwirken innerhalb der Regierung und zwischen Bund und Ländern ganz offensichtlich entscheidend. "Doch in der Krise stoßen wir mit den bestehenden Entscheidungs- und Handlungsstrukturen mitunter an die Grenzen der Handlungsfähigkeit." Gegenwärtig steuere man, im Hinblick auf die nur langsamen Impffortschritte und die steigende Auslastung der Intensivbetten, auf eine schwierige Situation zu.
Es ist eine präzise, schonungslose Analyse, die die oberste Prüferin hier liefert - und gleichzeitig offenlegt, dass der Gesundheitsminister ein König ohne Land ist, wenn ein oder mehrere Landeshauptleute nicht so wollen wie er. Zwar räumen Epidemie- und Covid-Gesetze Rudolf Anschober (Grüne) weitgehende Befugnisse zur Bekämpfung der Seuche ein; umsetzen kann er sie aber nicht direkt.
Ohne Länder geht gar nichts
Denn die Gesundheitsbehörden sind, wie ein großer Teil der Verwaltung in der Republik, als mittelbare Bundesverwaltung organisiert: Der Minister ist die oberste Behörde - aber umgesetzt werden seine Entscheidungen von Landeshauptleuten und Bezirksbehörden. Denen kann er zwar über Weisungen, Verordnungen und Erlässe Vorgaben machen - aber gegen den Willen eines Verwaltungsorgans, das eine Anordnung nicht umsetzen will, geschieht in Österreich wenig.
Technisch gesehen könnte ein renitenter Landeshauptmann, der sich weigert, eine Weisung aus Wien zu befolgen - sagen wir, in seinem Land einen Lockdown zu verhängen -, vor dem Verfassungsgerichtshof angeklagt werden. Das ist bisher erst einmal vorgekommen: Die rot-blaue Bundesregierung klagte 1985 den damaligen Salzburger Landeshauptmann, Wilfried Haslauer (ÖVP), der entgegen Bundesgesetzen verordnet hatte, dass Geschäfte am 8. Dezember aufsperren dürfen. Haslauer wurde verurteilt - aber ohne Strafe.
Aber erstens bräuchte so eine Anklage einen einstimmigen Beschluss der Bundesregierung - und zweitens Zeit, ein entsprechendes Verfahren beim VfGH könnte sich über Monate ziehen. Beides, Einstimmigkeit und Zeit, sind in der derzeitigen Corona-Lage dünn gesät. Heute Abend wollen Regierung und besonders betroffene Länder bei einem "Ost-Gipfel" weiter beraten.
"Nicht in der Lage, rasch klar zu entscheiden"
Bleiben also nur: Verhandlungen. Deswegen setzt der Minister auf breiten Konsens und deswegen passiert derzeit: nichts. "Bei den laufenden Gesprächen zwischen Bund und Ländern ist festzustellen, dass sich unser System sehr viel leichter damit tut, nicht zu entscheiden, als in Zeiten der Pandemie eine klare und nachvollziehbare Linie vorzugeben", analysiert Kraker.
Die Krise lege die Schwäche des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern offen, so die Rechnungshof-Präsidentin: "Ein politisches System, das im Krisenfall nicht in der Lage ist, sich rasch zu klaren Entscheidungen durchzuringen, lässt die Dinge treiben. Damit breitet sich die ohnehin schon vorhandene Unsicherheit noch weiter aus." Nach der Corona-Krise werde daher darüber zu reden sein, welche Lehren man daraus für die Zusammenarbeit im Staat ziehen müsse: "Ohne Tabus."
Kommentar
Georg Renner