Der Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universität Krems, Gerald Gartlehner, spricht sich gegen weitere Lockerungen aus: "Wir müssen irgendwie gegensteuern", so der Epidemiologe im Interview mit der "Zeit im Bild 2" am Donnerstagabend. Ein weiterer Lockdown sei für den Mediziner aber nicht zwingend notwendig: "Wir haben noch gelindere Mittel", sagt Gartlehner und meint damit etwa verpflichtendes Home Office, eine kürzere Gültigkeit für Antigentests oder ein schnelleres Vorgehen bei lokalen Maßnahmen. Auch eine Verlängerung der Osterferien könnte hilfreich sein, so der Mediziner.
Gartlehner ist mit dieser Ansicht nicht alleine. Ins selbe Horn hatte zuvor schon Komplexitätsforscher Peter Klimek von der Medizinischen Universität Wien gestoßen: "Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende", ein Lockdown "wäre notwendig", so Klimek gegenüber dem ORF - er sieht ein "Durchwurschteln" bis Ostern, wann eine "natürliche Reduktion" der Infektionszahlen eintreten könnte. Auch Markus Zeitlinger von der MedUni Wien sieht den "Beginn der dritten Welle, alles andere wäre ein Leugnen der Tatsachen". Was die Zeit nach Ostern betrifft, ist Gartlehner vorsichtig: "Im vergangenen Jahr hatten wir im Frühling niedrigere Zahlen." Es gebe keine Anzeichen, dass es nach Ostern schnell besser werde.
Rendi-Wagner: "Je länger man wartet, umso härter die Maßnahmen"
Auch SPÖ-Chefin Rendi-Wagner drängt im heutigen Morgenjournal darauf, mit weiteren Gegenmaßnahmen den "besorgniserregenden" Aufwärtstrend bei Corona-Infektionen zu stoppen. Die jetzigen Virus-Mutationen seien ansteckender und aggressiver, die Patienten kämen früher als bisher in die Spitäler, in den Intensivstationen müsse ein "Kollaps" verhindert werden. Da gebe es eine Vielzahl an Maßnahmen, wie etwa weniger soziale Kontakte als auch verlängerte Osterferien bis hin zur Rücknahme von Lockerungen. Je länger man damit warte, desto härtere Maßnahmen könnten wieder notwendig sein. Die Schließung der Schulen müsse aber jedenfalls "letztes Mittel sein", um gegen die Auslastung der Intensivstationen vorzugehen, so Rendi-Wagner.
Vier als Veranstaltung
Einstweilen gibt die Koalition Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) mehr Möglichkeiten, gegen die Pandemie vorzugehen. Wie die Kleine Zeitung erfahren hat, hat der Gesundheitsausschuss am Donnerstagnachmittag mit den Stimmen der Koalition gegen den Widerstand von SPÖ, FPÖ und Neos die Novelle von Epidemie- und Covid-Maßnahmengesetz wie gestern vorgeschlagen abgesegnet. Damit ist der Weg für die Reform frei, kommende Woche soll sie im Nationalratsplenum beschlossen werden.
Unter anderem wird mit dieser Änderung eine "Veranstaltung", die der Gesundheitsminister einschränken oder untersagen kann, neu definiert: Statt wie bisher ein "Zusammenströmen größerer Menschenmassen" vorauszusetzen, soll in Zukunft ab dem Zusammenkommen von vier Erwachsenen plus eventuell sechs minderjährigen Kindern eine Veranstaltung vorliegen. Zudem wird der Testzwang für bestimmte Berufsgruppen insofern gelockert, als in Ausnahmefällen eine FFP2-Maske als Alternative bleibt.
Lage regional höchst unterschiedlich
Heute Abend wird die Corona-Kommission eine erneute Einschätzung der Lage abgeben. Zuletzt hatte sich ein radikales Auseinanderdriften der Situation in Österreich abgezeichnet: Während im Osten die Zahlen durch die Decke gehen, gehen in Vorarlberg die Infektionszahlen weiterhin zurück.
Im Kanzleramt will man der weiteren Entwicklung zur Stunde nicht vorgreifen: Höchstwahrscheinlich werde man bei den Beschlüssen vom Montag bleiben, Maßnahmen weiterhin regional zu differenzieren, so ein Sprecher zu Kleinen Zeitung.
Georg Renner