Nachdem in einigen EU-Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien die Verwendung des AstraZeneca-Impfstoffes vorerst ausgesetzt wurde, präsentierte die Europäische Arzneimittelbörde EMA am Dienstag einen Zwischenbericht zum Impfstoff.
"Das ist noch kein abschließendes Ergebnis, sondern ein laufender Prozess", betonte EMA-Direktorin Emer Cooke. "Wir brauchen erst die Fakten, bevor wir zu einer gründlichen Analyse kommen." Expertinnen und Experten untersuchen nun in jedem einzelnen Fall, bei dem eine Thrombose nach der Impfung mit AstraZeneca aufgetreten ist, ob ein Zusammenhang mit der Impfung besteht.
Vorteile überwiegen
"Wir sind immer noch überzeugt, dass die Vorteile der Impfung die Risiken von Nebenwirkungen aufwiegen", bleibt Cooke bei der Einschätzung der Behörde: "Derzeit gibt es keine Indikation, dass die Impfungen die Thrombosen verursacht hätten", bekräftigt sie. In klinischen Studien hätten einige Patienten Thrombosen entwickelt, allerdings in etwa gleich viele in der Gruppe, die geimpft wurde, und jener, die nur ein Placebo bekommen hätte. Die Zahl der aufgetretenen Fälle sei nicht höher als in der Gesamtbevölkerung, so Cooke.
"Wenn man mehrere Millionen Menschen impft, ist es unvermeidbar, dass es seltene Nebenwirkungen gibt. Unsere Aufgabe ist es, schnell zu untersuchen: Ist das eine wirkliche Nebenwirkung oder ein Zufall?", sagt Cooke.
Am Donnerstag plant die EMA eine Sondersitzung zu dem Impfstoff. Bis dahin soll final geklärt sein, ob es einen Zusammenhang zwischen den Blutgerinnseln und der Impfung gibt, oder nicht.
Kritik am Aussetzen der Impfung
Zu den Entscheidungen von Deutschland, Frankreich, Italien, Zypern, Luxemburg, Schweden und Lettland, die Impfungen auszusetzen, nachdem es Berichte über Fälle, von sehr seltenen Thrombosen der Hirnvenen, im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gegeben hatte, sagt die EMA-Direktorin nur: "Das ist das Privileg der Staaten. Sie treffen ihre Entscheidungen auf Basis der Daten, die sie in ihren Ländern zur Verfügung haben. Unsere Aufgabe ist es, gesicherte wissenschaftliche Grundlagen zu liefern. Das heißt: Eine genaue Analyse von allen Fällen, die gemeldet wurden." Auch ob einzelne Chargen verantwortlich sein könnten, werde untersucht: "Es ist aber unwahrscheinlich."
Italiens Arzneimittelaufsicht Aifa stuft das Mittel als sicher ein. Das Verhältnis von Nutzen zu Risiko sei "weitgehend positiv", sagte Aifa-Direktor Nicola Magrini der Zeitung "La Repubblica". Frankreich erwartet, dass die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, das Vakzin des britisch-schwedischen Konzerns, schon am Donnerstag wieder freigeben wird.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sieht die Lösung weiterhin auf "gesamteuropäischer Ebene". Gemäß der Empfehlung des österreichischen Impfgremiums wird AstraZeneca vorerst weiter verwendet bis zur Bewertung durch die EMA. Insgesamt sind bisher EU-weit 6,9 Millionen Menschen mit AstraZeneca geimpft worden, in Österreich waren es 220.000. Diese Zahlen müsse man "in Relation mit den Nebenwirkungen" sehen, betonte Anschober.
Die deutsche Regierung rechtfertigte indes ihre Entscheidung, die Impfungen auf Eis zu legen. Man habe nach der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) nicht anders handeln können. Offen blieb, ob damit die deutsche Impfstrategie ins Wanken gerät. Der für Mittwochabend geplante Impfgipfel von Bund und Ländern wurde wegen der Entscheidung abgesagt. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen hatte die deutsche Bundesregierung schon aus juristischen Gründen keine Alternative. Nach der PEI-Entscheidung am Montag hätten ansonsten Körperverletzungs-Klagen gedroht, da es sich um eine staatliche Impfkampagne handle.
Nachdem bereits fünf europäische Länder die Impfungen ausgesetzt hatten, registrierte das PEI am Montag insgesamt sieben Fälle, einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen, unter mehr als 1,6 Millionen Impfungen. Der Anteil der Fälle sei höher als in der Allgemeinbevölkerung, "sodass hier nicht auszuschließen ist, dass wirklich die Ursache in der Impfung liegt", sagte PEI-Präsident Klaus Cichutek dem "ZDF heute journal".
Welche Auswirkung hat die EMA-Entscheidung?
Als eine mögliche EMA-Entscheidung wird in deutschen Regierungskreisen eine weitere Nutzung des Impfstoffes mit einer Warnung oder Einschränkung für Thrombose-gefährdete Patienten gesehen. Der Chef der italienischen Arzneimittelaufsicht Magrini sagte, die Entscheidung zur Aussetzung der Impfungen sei politisch motiviert gewesen. Die Aifa werde zwei bis drei Tage benötigen, um alle erforderlichen Daten zu sammeln. Sobald alle Zweifel ausgeräumt seien, "können wir schneller weitermachen als zuvor". Der französische Gesundheitsminister Olivier Veran betonte, das Verhältnis von Nutzen und Risiken bei dem AstraZeneca-Vakzin bleibe positiv. Er erwarte, dass die EMA entscheide, die Impfungen fortzusetzen.
Kritik kam auch von Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, der den vorläufigen Stopp der Impfungen in Zweifel zog und einen Image-Schaden für das Vakzin befürchtet. "Dass Menschen Thrombosen und Lungenembolien bekommen, muss nicht unbedingt etwas mit der Impfung zu tun haben", sagte Montgomery dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Veronika Dolna