Überschattet vom türkis-grünen Koalitionskrach haben sich Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober heute im Bundeskanzleramt zum Corona-Gipfel eingefunden. Aus virologischen Gründen waren Kurz und Anschober durch Scheiben voneinander getrennt. Ob die Spannungen der letzten Tage informell angesprochen wurden, steht in den Sternen. Ein Augen- und Ohrenzeuge der Sitzung meinte lediglich: "Es geht sehr gesittet zu."
Bekanntlich wurde das Treffen in den letzten Tagen zu einer Videokonferenz herabgestuft, weniger wegen Anschobers Absenz - nach einer Kreislaufschwäche begab er sich in Spitalsbehandlung, sondern weil es nichts zu beschließen gibt. Der ursprüngliche Plan, am Montag über eine allfällige Öffnung der Gastgärten in zwei (!) Wochen zu entscheiden, wurde angesichts des dynamischen Infektionsgeschehens fallen gelassen. Die Landeshauptleute waren nicht im Kanzleramt präsent, sondern wurden virtuell eingebunden. Im Kanzleramt anwesend waren allerdings die Virologen und Epidemiologen, die die Regierung beraten. Auch die Oppositionschefs waren virtuell zugegen.
"Dritte Welle kommt auf leisen Sohlen"
Beim Treffen mit den Oppositionschefs soll vor allem SPÖ-Chefin, Pamela Rendi-Wagner, vor einer Politik des Nichtstuns gewarnt haben. "Die dritte Welle kommt auf leisen Sohlen." Angesichts der steigenden Zahlen bei den Spitalsauslastungen und der Neuinfektionen sei jede weitere Lockerung verantwortungslos. Andere Teilnehmer sollen davon gewarnt haben, dass Österreich "gegen die Wand fährt." Die Regierung versucht den Vorwurf mit dem Hinweis zu entkräften, "ehe die Wand kommt", werde man wie ein Autofahrer handeln, "der rechtzeitig auf die Bremse steigt."
Teil-Entmachtung der Länder
Thematisch wurde das Treffen durch die kurzfristige Ankündigung des Gesundheitsministers, per Erlass eine bundesweit einheitliche Prioritäten-Liste zu garantieren, überschattet. Ein solcher Schritt kommt einer Teil-Entmachtung der Bundesländer gleich, die seit Jänner in Eigenregie festlegen, wer wann geimpft wird, wann die Über-80-Jährigen, die Risikogruppen, die Bewohner von Pflegeheimen, das medizinische Personal und Schlüsselkräfte wie Lehrer oder Kindergärtnerinnen drankommen.
Kommentar von Michael Jungwirth
Anschober will so sicherstellen, dass zuerst ältere Menschen und Risikopatienten geimpft werden. Die rasche Verimpfung, der in den nächsten Monaten steigenden Vakzin-Liefermengen, werde "entscheidend" sein. Um sicherzugehen, dass das optimal bzw. einheitlich verlaufe, werde nun ein entsprechender Erlass ausformuliert.
Was ist ein Erlass?
Der Impfplan ist eine verbindliche Leitlinie für die impfenden
Stellen in Österreich. Er gibt Anweisung über die Abfolge der
Impfungen bis in den Sommer, auf Basis der zugesagten Liefermengen
und Liefertermine. Zuletzt hatte ihn Anschober Mitte Februar
präzisiert. Bei einem Erlass handelt es sich um Verwaltungsverordnungen, quasi "Dienstanweisungen", in diesem Fall des Gesundheitsministers an die nachgeordneten Organwalter, in diesem Fall die Landeshauptleute, die in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung an Weisungen des zuständigen Bundesministers gebunden sind. Darin ist kraft Weisung eine verbindliche Interpretation von Gesetzen oder Verordnungen oder auch Anordnungen, auf welche konkrete Art und Weise die Vollziehung eines Gesetzes oder einer Verordnung vorgenommen werden soll, enthalten.