Eigentlich hätte der ORF zum ersten Jahrestag des ersten Lockdowns gerne Regierungsmitglieder in der wichtigsten politischen Talkshow des Landes gehabt, so Moderatorin Claudia Reiterer zum Einstieg. Nur leider, leider hätten die keine Zeit gehabt bzw. im Fall von Gesundheitsminister Rudolf Anschober krankheitsbedingt gefehlt, weswegen die Regierungsparteien am Sonntagabend mit ihren Abgeordneten Josef Smolle (ÖVP) und Ralph Schallmeiner (Grüne) "Im Zentrum" vertreten waren. Zwei Herren, die, pardon, üblicherweise nicht in der allerersten Reihe der Entscheidungsfindung stehen.
Aber immerhin: Die Parteien waren vertreten, im Gegensatz zur ZiB2 davor, wo zur Analyse des Koalitionsstreits um die misslungene Impfstoffbeschaffung Analyse-Star Peter Filzmaier ausrücken musste - ein regelmäßiger Gast, wenn die Politik, auf deren Antworten man eigentlich neugierig wäre, nicht kommen will.
In dem Fall eventuell ein Gewinn für den Zuschauer: Filzmaier nahm sich kein Blatt vor den Mund und ging recht hart mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ins Gericht: "Stellen wir uns vor, der grüne Gesundheitsminister würde dem erkrankten Sebastian Kurz ausrichten, er soll seinen Bürochef, Pressechef oder seinen Schredderchef entlassen", so der Politikwissenschaftler in Richtung des Kanzlers, dessen Volkspartei Anschober nahegelegt hatte, doch bitte seine Spitzenbeamten zu suspendieren. Ferner attestierte er der Regierung ein "Vertrauensfiasko" und Kurz müsse "sich die Frage gefallen lassen, was er bis zum letzten Freitag eigentlich beruflich so im Jahr 2021 gemacht hat".
Verglichen damit war "Im Zentrum" fast schon ein Muster an Harmonie. Pamela Rendi-Wagner, noch vor vier Jahren selbst Spitzenbeamtin im Gesundheitsministerium, nunmehr SPÖ-Chefin, stellte sich vor die von Kurz anvisierten Beamten: "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, sich abzuputzen - schon gar nicht an Beamtinnen", so die Parteichefin - es brauche eine gemeinsame Kraftanstrengung, um Impfungen voranzutreiben, statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen.
Für den erkrankten Anschober in die Bresche warf sich auch FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch: "Wenn ein Minister krank ist, ihm sowas über die Medien auszurichten, das geht einfach nicht", attestierte sie dem Kanzler schlechten Stil. Nikolaus Scherak, Verfassungssprecher und stellvertreter der ebenfalls erkrankten Beate Meinl-Reisinger, kritisierte abermals die von Anschober vorgeschlagene Novelle von Epidemie- und Covid-Maßnahmengesetzes.
Smolle und Schallmeiner spannen derweil den Koalitionsstreit recht schaumgebremst fort: Smolle erklärte, Anschober zwar zu vertrauen, dessen Beamten aber nicht mehr voll. Schallmeiner spielte den Ball ins (türkise) Finanzministerium zurück: Hätte die ÖVP nicht ursprünglich auf eine Obergrenze von 200 Millionen Euro für die Beschaffung von Impfstoff bestanden, hätten die Beamten gar nicht erst eine Auswahl treffen müssen, auf welchen Impfstoff Österreich aus seinem Kontingent verzichtet.
Alles in allem: Eine gesittete Runde - aber auf Regierungsseite hätte man sich als Bürger in dieser Lage dann doch eine etwas hochkarätigere Besetzung gewünscht.
Georg Renner