Die Lenzing AG hat sich aus Ihrer gemeinsamen Firma zurückgezogen. Wann kam es zum Bruch mit Ihrem Co-Geschäftsführer Stefan Trubrich?
TINO WIESER: Gar nicht. Er darf aber nicht mehr mit mir reden. Ich weiß nicht, was in die Lenzing gefahren ist. Man hat mir angekündigt, dass sich in Kürze jemand bei mir meldet.
Worüber war Trubrich informiert, und was wusste er nicht?
Er wusste alles. Wir haben zehn Monate lang zusammengearbeitet, 14 bis 18 Stunden am Tag. Wir haben zusammen gelacht und geweint.
Wofür waren Sie jeweils zuständig?
Palmers, also ich, übernahm Marketing, Sales und Verwaltung. Er, also Lenzing, war zuständig für Produktion, Technik und Materialbeschaffung.
Also Lenzing genau für jene Aspekte, die jetzt in die Kritik geraten sind?
Ja, aber es waren ja kriegsähnliche Zustände, wir haben uns immer auch gegenseitig unterstützt.
Kriegsähnlich? Inwiefern?
Wir machen gerade Inventur. Wir haben in diesen zehn Monaten mehr als 100 Millionen Masken produziert…
Wie viele davon haben Sie zugekauft?
Das ist der heikelste Punkt, wir sammeln das gerade, aber es waren im Verhältnis ganz wenige, in der letzten Phase, wo die Nachfrage so stark stieg. Wissen Sie, wie dieses Verhältnis von 17 chinesischen zu 3 österreichischen Masken zustande kam? Ich sitze bei der Einvernahme und werde vom Kriminaloberinspektor damit konfrontiert. Ich sage: „Das kann man gar nicht so leicht erkennen, woher wissen Sie das?“ Er: „Das erkennt man an der Naht.“ Ich: „Ich erkenne es nicht, und wir haben fünf verschiedene Maschinen im Einsatz.“ Zwei Stunden nach der Einvernahme landeten die Zahlen in den Medien!
Zurück zum Kriegszustand, inwiefern?
Die Masken waren knapp. Wir haben nach entsprechenden Zusagen Maschinen gekauft für die Produktion der Masken für die über 65-Jährigen. Monatelang haben wir mit der Post ein Paket für die Auslieferung ausgearbeitet. Es ging um 18 Millionen Masken, 6.000 pro Palette, verschickt in Zehner-Briefchen an die Empfänger. Dann wurde der staatliche Auftrag über einen niederösterreichischen Zweirad-Importeur an einen chinesischen Produzenten vergeben. Vorher stand in der Ausschreibung drin, dass sie „Made in Austria“ sein müssen, dann plötzlich nicht mehr, und die Chinesen kamen zum Zug. Egal. Unsere Großkunden waren dann die Lebensmittelketten, auch Apotheken-Großhändler. Die Nachfrage war ab Jänner enorm. Die haben uns Druck gemacht, Sie können sich nicht vorstellen, wie da mit einem geredet wird. Ich hätte mich hinstellen können und sagen: Wir hackeln schon 24 Stunden, wir haben nicht mehr.
Warum haben Sie das nicht?
Das hätte ich wahrscheinlich tun sollen. Wir haben davor Angst gehabt, unsere Kunden zu verlieren und uns dazu entschieden, einen Lohnproduzenten zu beauftragen. Eine chinesische Firma, dasselbe Material, derselbe Nasenbügel, derselbe Gummi, dieselbe Grammatur, meine Bauanleitung, mein Knowhow. Sonst hätte ich nie „Made in Austria“ draufgeschrieben. Wie in Wiener Neudorf chinesische Maschinen, nur die Arbeiter waren keine österreichischen sondern chinesische. Für mich war alles andere gleich, aber die Masken haben das Doppelte gekostet.
Ging es auf Kosten der Qualität?
Nein. Ganz und gar nicht. Die Masken sind ja zertifiziert, alle. Nicht nur nach dem CE-Verfahren, sondern nach dem EN149-Verfahren. Unsere Masken sind eigentlich FFP3-Masken, die 99 Prozent der Bakterien und Viren herausfiltern. Wir haben sie als FFP2-Masken verkauft, weil die eben gebraucht wurden.
Überprüft wurden sie von Ihrem ungarischen Zertifizierungsinstitut?
Ja, und die prüfen nach EU-Standard. Ich habe die chinesischen Masken jetzt noch einmal im Wege eines Schnelltests dort prüfen lassen, und alles ist in Ordnung, das Ergebnis habe ich Montagabend bekommen. Die sind schneller, weil das Procedere ja bereits aufgestellt ist. Ich habe auch eine Prüfung bei der Wiener Zertifizierungsstelle veranlasst. Die kostet 14.000 Euro und dauert vier Wochen. Das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen soll übrigens schon im vergangenen Sommer unser Masken als nicht der Qualität entsprechend bewertet haben, auch so eine Meldung aus den Medien: Ja, wir haben die Masken überprüfen lassen, und zwar 23 verschiedene Bauweisen, wir wussten ja selbst noch nicht, wie es am besten geht. Und ja, es haben – Überraschung – nicht alle entsprochen. Die, die wir dann gefertigt haben, aber schon.
Warum mussten die Masken eigentlich umgepackt werden?
Weil sie in 1000er- und 100er-Packungen angeliefert wurden und einzeln verpackt werden mussten, damit sie steril sind.
Wissen Sie, was bei den Behörden den Verdacht aufkommen ließ, da sei etwas nicht in Ordnung?
Im Durchsuchungsbeschluss stand, ein Mitarbeiter einer Personalfirma, der wegen des Verdachts auf Menschenhandel überwacht wurde, habe in einem Telefonat gesagt, er arbeite um 6 Euro bei uns und packe Masken um. Wir haben den Mann kontaktiert. Er hat nie bei uns gearbeitet, er sagte, er habe das von einem Freund gehört…
Das war alles?
Ja. Und noch etwas ist passiert: Ein Hersteller aus Salzburg, ein Konkurrent, hat unsere Masken in Deutschland überprüfen lassen, das Ergebnis geistert auch in den Medien herum. Dieses Ergebnis hat er zwei unserer Großkunden geschickt. Einer rief mich an und stellte mich zur Rede. Ich habe die Firma in Deutschland kontaktiert, und die haben mir die Testresultate geschickt. Unsere Masken sind in Ordnung, der Salzburger hat das Ergebnis gefälscht.
Haben Sie ihn angezeigt?
Das werde ich, aber dazu bin ich noch gar nicht gekommen. Das Ergebnis bekam ich am Tag vor der Hausdurchsuchung.
Ein weiterer schwere Vorwurf bezieht sich darauf, dass Sie über windige Firmen Schwarzarbeiter beschäftigt haben. Haben Sie?
Nein, das stimmt nicht! Wir haben drei Personalfirmen am Areal. Ante Portas macht Security und Reinigung, der Besitzer der OBA ist ein Steuerberater und in der dritten Firma, First Staff, ist nicht, wie behauptet, ein 19-Jähriger Geschäftsführer, sondern der 19-Jährige betreut das Reisebüro, der andere den Personalverleih. Diese dritte Firma hat im Jänner, als es eng wurde, einen ganz kleinen Auftrag an eine Subfirma vergeben, die ebenfalls seit vier Jahren im Geschäft war. Die wurde von der Finanz im Nachhinein als Scheinfirma tituliert. Diese Subfirma hat das beeinsprucht, aber First Staff hat selbstverständlich umgehend die Zahlungen an sie eingestellt, die Mitarbeiter wurden direkt ausbezahlt und die Abgaben an Finanz und Krankenkasse überwiesen.
Wozu überhaupt Leiharbeitskräfte?
Wir zahlen einen Stundenlohn von 20 Euro für die Hilfskraft, 30 Euro für Maschinenbediener. Das kommt uns nicht billig. Wir haben 700.000 Euro pro Monat an die Leihfirmen bezahlt. Es kann überhaupt keine Rede sein von „organisierter Schwarzarbeit“, alle wurden ordnungsgemäß entlohnt. Der Grund dafür ist, dass wir flexibel bleiben mussten. Von einem Tag auf den anderen brach die Nachfrage nach Mund-Nasen-Schutz ein, dann fiel der Auftrag des Bundes aus, dann musste die Produktion der FFP2-Masken hochgefahren werden.
Wie viele Ihrer Beschäftigten sind Leiharbeiter?
Wir beschäftigen 220 Leute, mit den neuen Maschinen werden es 300 sein: 10 davon von Palmers, mit Handels-KV, 15 bis 20 von Lenzing, mit dem Chemie-KV, viele andere der 850 Palmers-Beschäftigten sind vorübergehend im Einsatz, und dazu eben die Leiharbeiter. Wir haben uns immer alle Anmeldungen vorlegen lassen. Das Material war auf der ganzen Welt ausverkauft, die Maschinen waren Mangelware, ich hatte auch mit Verkauf und Marketing genug zu tun. Wir wollten uns das Personalthema auch ein Stück weit ersparen.
Und die Behauptung, am Hintereingang sei ein „Aufpasser“ gestanden, für den Fall, dass eine Kontrolle kommt und nach Schwarzarbeitern fahndet?
Das war ja auch ganz anders! Es wurden uns am Flughafen Maschinen gestohlen, es wurde Material gestohlen, die ganze Welt wollte Masken! Und auch bei uns wurde gestohlen, zwei Kartons Masken mit je 800 Stück, ein Karton war je 4.000 Euro wert. Da haben wir Security installiert. Jeder, der die Halle verließ, wurde kontrolliert.
Die Rede war in den Medien auch von einem Arbeitsunfall eines Leiharbeiters, der dann als „Haushaltsunfall“ dargestellt worden sei.
Auch das ist falsch. Ja, es gab einen Arbeitsunfall. Eine Mitarbeiterin griff mit der Hand in die laufende Maschine. Natürlich war das schlimm. Ich habe mich umgehend selbst angezeigt, das Arbeitsinspektorat kam ins Haus. Wir haben sofort 100.000 Euro investiert, um die Produktion noch sicherer zu machen. Ich bekam keine Strafe, sondern wurde nur abgemahnt. Die Betroffene wollte dann allerdings auch noch Schmerzensgeld in schwindelerregender Höhe, da haben wir uns dann von ihr getrennt. Sie und ihr Freund, der auch bei uns gearbeitet hat, waren darüber natürlich schwer verärgert.
Und die Vorwürfe, wonach es buchstäblich nicht immer ganz sauber zugegangen sein soll in der Firma?
Es wird nicht immer alles sauber gewesen sein. 100 Millionen Masken in zehn Monaten, das bedeutet 300.000 Stück pro Tag, 6.000 Stück pro Palette, die eingepackt, etikettiert und verwendet werden mussten. Da sieht es nicht immer schön aus rundherum. Und wissen Sie, was es mit der roten Maske in der Maschine auf sich hat? Da ist ein Mitarbeiter ins Lager gegangen und hat eine ausrangierte Walze fotografiert!
Von Lenzing hieß es, Sie hätten den Zugang zu wichtigen Unterlagen verwehrt.
Welche Unterlagen? Die sind ja alle beschlagnahmt worden. Wir haben nur noch Lohnverrechnungsunterlagen. Bis Sonntag um acht Uhr Abends sind wir zusammengesessen und wollten das Geschehene aufarbeiten, am Mittwoch eine Presseerklärung abgeben. Am nächsten Tag wurden die Lenzing-Leute abgezogen, seitdem ist keiner mehr erreichbar.
Würden Sie das Rad der Zeit gerne zurückdrehen?
Ja. Ich werde für ein paar Masken hingerichtet, obwohl die Qualität stimmt. Ich habe in zehn Monaten eine halbe Milliarde Wertschöpfung erzielt, Steuern und Abgaben ohne Ende gezahlt. Und ich habe den Preis in der Krise um die Hälfte gesenkt. Im Sommer vorigen Jahres kosteten die FFP2-Masken in der Apotheke überhaupt noch 14 Euro das Stück. Nur dadurch, dass wir produziert haben, konnte der Preis gesenkt werden, im Jänner übrigens noch einmal um die Hälfte. Dass wir den Markt kaputt gemacht haben, wie jetzt behauptet wird, stimmt übrigens nicht: Es schaffte einfach keiner, so zu produzieren wie wir.
Machen Sie sich Sorgen über ihre eigene Zukunft und die des Unternehmens?
Eigentlich nicht. Es wird sich alles aufklären. Habe ich Fehler gemacht? Mit Sicherheit, wer nicht? Habe ich miese Produkte ausgeliefert? Sicher nicht! Ich bin Geschäftsmann, ich habe einen Markt erkannt, ich habe damit Profit gemacht. Aber ich habe niemanden betrogen. Wir haben wahrscheinlich Hunderte Menschen vor dem Tod bewahrt. Sollte ich tatsächlich etwas Strafbares gemacht haben, dann werde ich dafür geradestehen, aber ich bin kein Schwerverbrecher, so wie es jetzt dargestellt wird. Und ich mache weiter, ich will die Firma kaufen.
Ohne Lenzing?
Dass die Lenzing ihre Mitarbeiter abgezogen hat, macht es nicht leichter, die waren für das Technische zuständig. Heute ist ein Lkw mit neuen Maschinen gekommen. Wer baut die jetzt auf? Wir werden das lösen, das ist meine Aufgabe als Geschäftsführer, und die Produktion läuft ohnehin weiter. Vielleicht kommt der Partner ja auch wieder zurück.
Sind Sie ein politischer Günstling?
Das glaube ich nicht. Ich habe im Sommer gesagt, dass die Abschaffung der NMS-Pflicht ein Fehler ist, weil die Pandemie wieder aufleben wird. Ich habe im Herbst gesagt, dass Österreich so wie Deutschland eine FFP2-Maskenpflicht einführen sollte. Ich habe mich damit nicht beliebt gemacht. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet, um die Mitarbeiter bei Palmers über die Runden zu bringen – wir haben keinen einzigen hinausgeworfen - und die österreichische Bevölkerung mit Masken zu versorgen. Bis Dezember habe ich dafür nicht einmal ein Gehalt genommen. Aber ich bin Geschäftsmann, und ich habe Profit gemacht. Das gebe ich zu.
Ein Geschäft, das Sie ohne Ihr Netzwerk auch gemacht hätten?
Da gibt es noch den Vorwurf, wir hätten die Firma gleich nach den ersten Corona-Fällen gegründet und quasi das große Geschäft gewittert. Warum schaut kein Journalist ins Firmenbuch? Die Firma entstand am 23. April, durch die Umgründung einer „Vorratsgesellschaft“, die Anwälte der Lenzing AG im März gegründet hatten, mit noch völlig unbestimmtem Zweck, so wie das üblich ist bei großen Unternehmen. Im April haben wir gemeinsam auf den Appell der Politik reagiert, Masken zu produzieren. Was mich ärgert: Alle Handelsketten haben auch chinesische Masken im Sortiment, zum gleichen Preis, und auch die Bundesregierung hat für die über 65-Jährigen chinesische Masken bestellt. Da regt sich keiner auf, obwohl meine Masken eine höhere Qualität haben und einer strengeren Prüfung (EN149 statt CE) unterliegen.
Claudia Gigler