"Wir betrachten den Staat, der unzweifelhaft ein männliches Wesen ist, als die Aufgabe und Sorge der Männer," so das Deutsche Staatswörterbuch von 1870, und weiter: "Die unmittelbare Teilnahme an den Staatsgeschäften ist unweiblich, für den Staat gefährlich und für die Frauen verderblich." Hundertfünfzig Jahre später wird in der ZiB 1 selbstverständlich gegendert und an der Spitze der Welthandelsorganisation steht eine Frau: die nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala. Die österreichische Bundesregierung setzt sich derzeit fast zur Hälfte aus Frauen zusammen, die Präsenz der Frauen kaschiert aber nur vordergründig die völlige Abwesenheit von Frauenpolitik. Und das hat in der Krise fatale Folgen.

Die Anfänge des Frauentags

Der Internationale Frauentag wird seit über hundert Jahren begangen. Männer und vor allem Frauen der Arbeiter*innenbewegung kämpften bereits vor dem Ersten Weltkrieg für Gleichberechtigung. Am 19. März 1911 gingen Menschen in ganz Europa auf die Straße und forderten das Recht der Frauen auf Arbeit, Zugang zu öffentlichen Ämtern und Bildung sowie die Einführung des Frauenwahlrechtes. Den Nazis war das ein Dorn im Auge: Zwar benützten sie Frauen als verlässliche Arbeitskräfte in der Waffenproduktion als Ersatz für die Männer, solange diese an der Front gebraucht wurden, gleichzeitig verboten sie den Internationalen Frauentag. Um dem nationalsozialistischen Frauenbild zu huldigen, wurde der Muttertag eingeführt, die Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter gefestigt. Erst in den 60er-Jahren konnte die Frauenbewegung den Internationalen Frauentag am 8. März wiederbeleben. Die Themen damals waren drängend, das patriarchale Nachkriegsösterreich sah für Österreicherinnen so gut wie keine Rechte auf ein selbstbestimmtes Leben vor. Die erste österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal realisierte in den 16 Jahren ihrer Regierungszeit vieles von dem, was uns Frauen heute als selbstverständlich erscheint: die Fristenlösung, die Familienrechtsreform, die Gründung des ersten Frauenhauses in Wien, die Novellierungen des Gleichbehandlungsgesetzes für die Privatwirtschaft, Förderungsprogramme für Frauen im Bundesdienst, Mutterschutz für Bäuerinnen und Selbstständige, die Einvernahme von weiblichen Opfern eines Sexualdelikts durch Kriminalbeamtinnen, die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand, die Beseitigung der Amtsvormundschaft für unehelich geborene Kinder, den Verweis eines gewalttätigen Ehepartners aus der Wohnung, Elternkarenz, das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz für den öffentlichen Dienst und die Einbeziehung des Krankenpflegepersonals in das Nachtschwerarbeitsgesetz.

Heute, vierzig Jahre später, ist der Frauenanteil in der Bundesregierung so hoch wie noch nie zuvor, für die Geschlechtergerechtigkeit kein Vorteil. Die Krise und die damit verbundenen Mobilitätseinschränkungen, das Homeoffice und die Privatisierung der Kinderbetreuung führen scheinbar zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen, denn neoliberale Gesellschaften individualisieren den sozialen Schutz und verlagern ihn in die Familie. Gab es im ersten Lockdown noch die Idee einer solidarischen Gemeinschaft, was sich etwa im Beklatschen des Gesundheitspersonals äußerte, so bewegt sich die Debatte inzwischen immer weiter weg von der Vorstellung, dass es einer Care-Ethik innerhalb der staatlichen Fürsorge bedarf.

Zurückkatapultiert in alte Rollenbilder

Die Corona-Pandemie katapultiert Österreichs Frauen in alte Rollenmuster. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt, dass alleinerziehende Frauen am stärksten betroffen sind. Überraschend aber auch, dass Frauen mit Partnern im selben Haushalt noch mehr Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufwenden müssen als Frauen ohne Partner, allerdings weniger Erwerbsarbeit leisten. Es ist bekannt, dass Frauen in der Pandemie die Hauptlast schultern, Männer bringen sich zwar mehr ein, das aber relativ gemessen an dem geringen Beitrag vor der Pandemie. Die traditionelle Arbeitsteilung zwischen dem Vollzeit arbeitenden Vater und der Teilzeit arbeitenden Mutter wirkt sich in der Pandemie fatal aus: Frauen werden in der Krise gerne als "Superheldinnen" bezeichnet, gleichzeitig sind sie nahe am Burn-out. Hier fehlen Konzepte von Frauenministerin und Familienministerin. Die beiden für Frauenanliegen so wichtigen Ressorts, nun vereint im Wirkungsbereich von Ministerin Raab, liegen im Dämmerschlaf, Themen werden seit Monaten ignoriert: Während die zurückgetretene ehemalige Arbeits- und Familienministerin Aschbacher in der größten Arbeitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ihre Dissertation fertigstellte, bekommt Ministerin Raab nun ein Kind: Um als Frau politische Ämter bekleiden zu dürfen, als berufstätige Frau einen Mann an der Seite zu haben, der in Elternkarenz gehen kann, um das Baby zu betreuen: Dafür haben viele Frauen vor und mit Johanna Dohnal jahrzehntelang gekämpft.


Die neuen Ministerinnen sind marketingtechnisch von Kanzler Kurz gut eingesetzt, eigene Agenden haben sie keine. Aktuell gäbe es viel zu tun: Wir brauchen neue Konzepte von Erwerbsarbeit: Die alten gehen von der Männerarbeitswelt als Matrix aus, Frauen mit und ohne Kinder müssen sich fügen. In der Folge hat die psychische Belastung, auch Mental Load genannt, ungemein zugenommen, nachweislich sind davon nur Frauen betroffen. Das viel beschworene Bild des „neuen Mannes“ bröckelt in der Pandemie: dieses Männerbild wird im Außen praktiziert, die Frau fühlt sich gleichberechtigt, weil es Gleichberechtigung als Idee gibt, auch wenn sie real nicht gelebt wird. Der massive Anstieg von Gewalt an Frauen und Kindern im sozialen Nahraum und der gesteigerte Hass gegenüber Frauen im Netz wird banalisiert. Die strukturellen Hintergründe für den weltweiten Anstieg der Gewalt gegen Frauen, für die vermehrten Femizide in der Pandemie bleiben unhinterfragt. Ebenso fehlt der Blick auf andere Lebensformen: alte Frauen, queere Lebensgemeinschaften, alleinstehende Menschen. Der aktuelle Lockdown ist der Lockdown des Ausharrens: Warten auf die Impfung, warten, dass es besser wird, warten, dass ein neues Leben aufgebaut werden kann.

Gleichberechtigung als Luxusproblem

Ein Hauptproblem vieler aktuell in der Bundesregierung tätigen Ministerinnen ist der fatale Irrglaube, sie hätten ihre Position allein ihrer eigenen Zielstrebigkeit, Leistung und Durchsetzungskraft zu verdanken. So denken kann nur, wer der eigenen Geschichte, das heißt, der Geschichte der Frauen, unkundig ist: Ganze Generationen von Frauen haben die Möglichkeit zur Teilhabe von Frauen an Politik und öffentlichem Leben mühsam erkämpft: Diese neue Generation von Ministerinnen ist blind für strukturelle, gesellschaftliche Verhältnisse: Corona ist keine Retraditionalisierung, sondern die Demaskierung einer Tradition: Gleichberechtigung existiert, aber nur als Idee. Selbst für die Frauen in der Regierung scheint zu gelten: Es gibt Wichtigeres, Gleichberechtigung gilt derzeit als Luxusproblem. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft vermuten: Verteilungskämpfe zugunsten der Wirtschaft sind absehbar. Frausein allein ist kein Programm, hat die große Johanna Dohnal einmal gesagt.

Ute Liepold, Autorin und Regisseurin
Ute Liepold, Autorin und Regisseurin © Puch Johannes