Sie sind jene Spitzenpolitikerin, die am vehementesten für einen harten Corona-Kurs eintritt, Sie haben sich gegen die jüngsten Lockerungen, etwa der Geschäfte, ausgesprochen. Fühlen Sie sich nicht wie eine Einzelkämpferin?
Österreich braucht einen konsequenten Weg der Vernunft und der Sicherheit zum Schutz der Menschen. Es ist unerheblich, ob ich die Einzige in der politischen Landschaft bin. Ich halte mich an die Fakten.
Was ist Ihr Weg?
Die breiten Öffnungen kamen zu früh, weil die Infektionszahlen noch zu hoch waren. Wir hätten lieber noch ein paar Wochen durchhalten sollen, um spätestens zu Ostern schrittweise das Land wieder zu öffnen. Auf Dauer. Die Regierung weckt permanent falsche Hoffnungen und muss dann den Retourgang einlegen. Mit dem Auf- und Zumachen verspielt man das Vertrauen der Bevölkerung und untergräbt die Glaubwürdigkeit von Politik.
Die Regierung öffnet wider besseres Wissen?
Es war bekannt, dass die Mutationen am Vormarsch sind. Ich verstehe, dass die Regierung einem großen Druck ausgesetzt war, aber sie hatte nicht den Mut, dem Druck standzuhalten und zu tun, was notwendig gewesen wäre, um einer dritten Welle entgegenzuwirken und einen neuen Lockdown zu verhindern. Man muss den Menschen reinen Wein einschenken.
Was wäre jetzt zu tun?
Das Prinzip Hoffnung ist zu wenig, es braucht das Prinzip Handeln und zwar rasch. Je länger gewartet wird, um dem Anstieg entgegenzuwirken, desto gefährlicher wird die Situation und desto länger der Bremsweg.
Wird man die Öffnung der Schanigärten abblasen müssen?
Seit der vorzeitigen Öffnung Anfang Februar steigen die Infektionszahlen. Die Entwicklung ist brandgefährlich, denn die Zahlen sinken nicht von allein. Die Prognosen zeigen, dass wir zu Ostern über 5000 Fälle haben. Durch die falsche Öffnungspolitik steuern wir auf eine Situation wie im November zu. Das muss verhindert werden.
Moment, die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit den Landeshauptleuten diese Schritte gesetzt, da waren auch drei rote Landeshauptleute dabei.
Ich habe großes Verständnis für die Landeshauptleute, egal ob sie aus dem Westen oder dem Osten kommen. Sie vertreten den Wunsch der Bevölkerung, und dieser heißt natürlich Öffnungen. Auch ich will öffnen. Die Frage ist nur: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um sicher und dauerhaft öffnen zu können? Die Landeshauptleute haben eine andere Rolle als die Bundesregierung.
Mit ihrer radikalen Strategie stoßen Sie auch die Kultur- und die Gastro-Szene vor den Kopf? Müssen auch Sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie nicht Stimmung der Bevölkerung kennen?
Nein, im Gegenteil. Ich will eine stabile, dauerhafte Öffnung der Kulturbranche, der Wirtshäuser, der Geschäfte, das heißt ohne weiteren Lockdown bis zu einer hohen Durchimpfung. Eine ehrliche Kommunikation hätte gelautet: Arbeiten wir gemeinsam daran, dass die Zahlen auf eine Sieben-Tage-Inzidenz von rund 50 sinken. Halten wir noch drei bis vier Wochen durch, dann können wir dauerhaft öffnen. Was ist die jetzige Situation? Jeder ist tief verunsichert, niemand weiß, was die nächsten Wochen bringen. Man darf die Gesundheitspolitik nicht gegen Wirtschafts- oder Kulturpolitik ausspielen. Diese Jojo-Politik, das Auf und Zu, ist nicht nur Gift für die Wirtschaft und die Kultur, sondern verärgert viele Menschen in diesem Land.
Mit ihrer harten Haltung sind Sie auch im Kreis der SPÖ-Landeschefs eine Einzelkämpferin. Haben Sie die Partei überhaupt im Griff?
Es gibt keine rote, türkise, grüne, pinke Corona-Strategie. Ich werde immer sagen, was ich für richtig halte. Dass Landespolitiker anderer Meinung sind, ist legitim, und das verstehe ich auch. Wir sind in einem permanenten Austausch, und wir haben ein gemeinsames Ziel.
Es gibt also keine Parteidisziplin?
Die Virusbekämpfung ist keine Frage von Parteidisziplin. Das Virus kennt auch keine Parteifarbe.
Sind Sie derzeit mehr Epidemiologin, weniger Politikerin?
Es ist kein Nachteil, Expertin in einer Jahrhundertpandemie zu sein. Ich habe immer einen ganzheitlichen Ansatz vertreten und habe die Öffnung von Kindergärten und Schulen gefordert. Der gesellschaftliche Nachteil geschlossener Schulen ist größer als der epidemiologische Nutzen.
Hätte man Hermagor, wo die Zahlen seit langem extrem hoch sind, früher abriegeln sollen? Und nicht auf die Gemeinderatswahl schielen dürfen? Kärnten wird rot regiert.
Ich denke nicht, dass hier Wahlen eine Rolle gespielt haben. Man lernt laufend dazu. Der Bund ist aber in der Verantwortung, man darf die Bundesländer in so einer Jahrhundertpandemie nicht allein lassen.
Hätte der Bund Hermagor vor der Wahl abriegeln sollen?
Wichtig ist, dass vom Bund rasch reagiert wird, um eine Ausbreitung zu verhindern. Der Zeitpunkt einer Wahl muss dabei unerheblich sein. Es geht um die Sicherheit von ganz Kärnten, ganz Österreich. Schwaz hat man ja abgeriegelt, damit sich die Variante nicht auf das ganze Bundesgebiet ausweitet.
Kärntens Landeshauptmann Kaiser fordert, dass Hermagor nach dem Vorbild von Schwaz durchgeimpft wird. Ist es eine gute Idee?
Die Regierung hat die Daten und muss mit Experten beraten, was zu tun ist. Generell sage ich: ganz Österreich wartet seit Monaten auf Impfstoffe. Über-80-Jährige warten immer noch. Man sollte mit Sonderkontingenten zurückhaltend sein. Es braucht dringend mehr Impfstoff für ganz Österreich.
Was wäre Ihre Impfstrategie als Gesundheitsministerin gewesen?
Ich hätte eine so gewaltige Impfaktion rechtzeitig vorbereitet in enger Abstimmung mit den Ländern, dem Bundesheer, Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz oder Samariterbund. Man hätte die Impfaktion zentral abwickeln sollen - und nicht den Fleckerlteppich mit neun Impfstrategien.
Wer wäre bei Ihnen zuerst drangekommen? Die Senioren oder das medizinische Personal?
Man hätte bei den Über-80-Jährigen anfangen sollen, sie haben das Risiko, an Covid zu sterben, und dann das medizinische Personal. Wir müssen schnell zu den jüngeren Menschen kommen, denn diese sind aktuell die Treiber der Infektion. Entscheidend sind gute Planungen, keine falschen Hoffnungen. Ich erinnere, der Kanzler versprach, dass im Jänner alle Über-80-Jährigen durchgeimpft sein werden. Jetzt ist Anfang März, viele warten immer noch.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Kanzler?
Ich habe ein intaktes Gesprächsverhältnis mit ihm. Das ist mir wichtig. Gemeinsam an sachlichen Lösungen zu arbeiten, wie zum Beispiel bei der Teststrategie, ist wichtig, denn aus so einer Situation kommen wir nur gemeinsam heraus. Mein Eindruck ist, dass er da auch gelernt hat.
Im Juni ist Parteitag. Sie treten an?
Ja natürlich.
Und sind Sie auch Spitzenkandidatin bei der nächsten Nationalwahl?
Das ist mein Plan.
Soll die SPÖ eine eigene Kandidatin, einen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufstellen?
Wir sollten warten, ob der amtierende Bundespräsident, den ich sehr schätze, noch einmal antritt. Die Frage stellt sich jetzt noch nicht.
Hat Corona einen frauenpolitischen Backlash ausgelöst?
Die Frauen sind die großen Verliererinnen der Pandemie, man muss sich nur die Lage am Arbeitsmarkt anschauen. Ziel muss es sein, dass die Frauen, die arbeitslos geworden sind, wieder Arbeit finden. Hier braucht es spezielle Beschäftigungsprogramme. Die Doppelt- und Dreifachbelastung durch Homeoffice, Homeschooling und Haushalt hat vor allem Frauen betroffen und einen gewissen frauenpolitischen Backlash erzeugt.