Mit Österreich-Fahnen, Trillerpfeifen und „Nein zum Impfzwang“ Plakaten marschierten tausende Corona-Demonstrationsteilnehmer am Samstagnachmittag erneut durch die Wiener Innenstadt. Zwölf Demos waren im Vorfeld untersagt worden, das Innenministerium warnte vor fehlenden Schutzmaßnahmen und rechtsextremen Teilnehmern. Dennoch wurde bei strahlendem Sonnenschein gegen die Maßnahmen der Regierung protestiert, viele Teilnehmer waren dazu mit Bussen aus anderen Bundesländern angereist.
Zu Beginn sammelte sich der Demo-Zug am Burgring und wurde von der Polizei quasi eingekesselt. Über Lautsprecher erklärte die Exekutive – begleitet von lauten Pfiffen und Buhrufen der Teilnehmer – um kurz vor 14 Uhr, dass die Versammlung aufgrund fehlender Masken und Abstände untersagt und aufgelöst werde.
Ein Großaufgebot von 1.500 Beamten verdrängte die Protestierenden vom Ring, diese zogen anschließend jedoch weiter durch eine Seitenstraße, um beim Karlsplatz erneut die Fahrbahn zu blockieren. Die Polizei riegelte daraufhin Seitenstraßen ab, der Zug, der „Kurz muss weg“ skandierte, konnte jedoch ungehindert weiterziehen. Staus und Straßenbahnausfälle waren die Folge.
"Stimmung der Gewalt"
Die Demonstration hatte so viele Anzeigen und Festnahmen zur Folge wie bisher noch keine zuvor, berichtete die Wiener Landespolizeidirektion am Sonntag. 42 Festnahmen, mehr als 3.000 verwaltungsrechtliche und 60 Strafanzeigen wurden gemeldet. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) warf der FPÖ vor, eine "Stimmung von Gewalt" aufbereitet zu haben. Es sei zu mehreren gewaltsamen Zusammenstößen mit Demonstranten gekommen. ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer hatte Kickl schon am Samstagabend vorgeworfen, sich "mit seinem heutigen Demo-Auftritt selbst zum Rädelsführer der hartgesottenen Corona-Leugner ernannt" zu haben.
FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer sah hingegen die Polizeiführung - namentlich Nehammer - verantwortlich für die "abendliche Eskalation gegen Besucher der gestrigen FPÖ-Kundgebung". In einer "völlig unnötigen Aktion am Ende eines durch und durch friedlichen Protesttags" seien "hunderte Menschen bewusst in eine Falle gelockt, eingekesselt und dort sogar mit Pfefferspray attackiert" worden, erklärte er in einer Aussendung.
Kritik an der Polizeiführung kommt auch von den Grünen - aber aus einem ganz anderen Grund. Gemeinderat Niki Kunrath und der stellvertretenden Bezirksvorsteher Bernhard Seitz empfanden die Geschehnisse in der Leopoldstadt Samstagabend als "unerträglich". Die Polizei habe offenbar vor der "Minderheit" der Demonstranten kapituliert - nämlich "Pandemie-Leugner*innen, darunter deutlich sichtbar viele Rechtsextreme", die durch den Bezirk marschiert seien. Die Polizeiführung habe großteils nur zugesehen und gewähren lassen, so die Kritik.
Kickl angezeigt
Familien mit Kleinkindern und Esoteriker marschierten am Samstag bis in die Abendstunden neben rechtsradikalen Gruppen, am Straßenrand lieferten sich Teilnehmer den ein oder anderen verbalen Schlagabtausch mit Passanten. Zu Zusammenstößen mit linken Gegendemonstrationen kam es nicht, die Kundgebung blieb großteils friedlich. Bis auf wenige Rangeleien mit der Exekutive, die punktuell Teilnehmer ohne Mundschutz aus der Menge fischte und deren Personalien aufnahm. Laut Wiener Polizei kam es zu einigen Festnahmen und zahlreichen Anzeigen.
Die FPÖ nutzte die Demo für Auftritte, Klubobmann Herbert Kickl hielt eine kurze Rede, in der er über „Corona-Stahlhelme in den Regierungsbüros“ und „Schmuddel-Typen“ in den Ministerien schimpfte. Wie „Heute“ berichtet, sollen er, Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch und Wissenschaftssprecher Martin Graf wenig später angezeigt worden sein – wegen fehlender Abstände und Masken.
Kickl selbst hat die Anzeige gegen ihn auf Facebook bestritten, seine Personalien habe niemand aufgenommen. Auf Nachfrage im Innenministerium heißt es dort, dass Kickls Personalien nicht aufgenommen wurde, "weil ohnehin klar ist, wer er ist". Er werde in jedem Fall angezeigt. Ob Kickl die Strafe wirklich zahlen muss, ist aber unklar.
Kickl: Polizei habe bewusst eskaliert
Ebenfalls via Facebook übte Kickl scharfe Kritik am "Innenminister und seinen Parteifreunde in der Polizeiführung". Sie hätten "die Eskalation am Abend selbst herbeigeführt, indem sie die Leute am heimgehen gehindert und in einen Kessel getrieben haben, um dort noch schnell möglichst viele Anzeigen für die Statistik zu produzieren".
Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl meldete sich kurz darauf per Aussendung zu Wort: "Vorwürfe jeder Art gegen die Vorgangsweise der Wiener Polizei sind im Lichte der Sachlage mehr als unangebracht", meinte er. Denn nach Ende der FPÖ-Versammlung bei der Jesuitenwiese habe ein großer Pulk geschlossen zurück in die Innere Stadt marschieren wollen. Deshalb habe die Polizei die Donaukanalbrücken gesperrt. Der Aufforderung, die aufgelöste Versammlung zu verlassen, seien die Demonstranten nicht nachgekommen, sondern sie "marschierten ...mit Widerstand gegen die polizeilichen Maßnahmen" den Donaukanal entlang.
An taktisch günstiger Stelle kurz vor der Augartenbrücke habe die Polizei sie gestoppt - "worauf einige Manifestanten sofort mit Gewalt gegen die Polizeikräfte vorgingen und versuchten, die Sperren zu durchbrechen". Kurz darauf seien "zahlreiche Personen unter Gewaltanwendung in die Tiefgarage einer Versicherungsanstalt" eingedrungen. Aus diesem Grund sei es "polizeilich geboten" gewesen, die Identitäten aller Beteiligten aufzunehmen und die Demo mittels polizeilichen Zwanges aufzulösen, Gewalttäter festzunehmen und entsprechende Anzeigen zu erstatten, schildert die Landespolizeidirektion die abendliche Eskalation aus ihrer Sicht.
"Hitlergruß" und "Sieg Heil"-Festnahmen
Polizeisprecherin Barbara Gass widersprach zudem der Kritik, wonach die Polizei rechtsextreme Äußerungen bei der Demo ignoriert habe. Es habe einige Anzeigen und zwei Festnahmen nach dem Verbotsgesetz gegeben - eine für den "Hitlergruß", eine für "Sieg Heil"- und andere rechtsradikale Parolen. Ein Betroffener soll sich dabei selbst gefilmt haben.