Als Mitte Jänner des Vorjahres die sicherheitspolitische Jahresvorschau 2020 der Direktion für Sicherheitspolitik präsentiert wurde, drehte sich noch alles um die frisch gebackene Verteidigungsministerin. Klaudia Tanner hatte bei der Tagung im Raiffeisen-Hochhaus am Donaukanal ihren ersten öffentlichen Auftritt in der neuen Funktion. Und so traten die Aussagen der Experten eher in den Hintergrund.

Eines der Panels behandelte damals das von Pandemien ausgehende Sicherheitsrisiko, dabei war auch von der "Pandemie X", ausgelöst durch einen noch unbekannten Erreger, die Rede. In ihrem schriftlichen Beitrag zur Jahresvorschau kritisierte Brigadierin Sylvia-Caroline Sperandio zudem den sorglosen Umgang mit einem solchen Szenario.

Bedrohungen wurden real

Mehr als ein Jahr später hat die Covid-Pandemie die Welt fest im Griff - und auch manch weiterer Punkt auf der "Risikomatrix" der Sicherheitsforscher wurde in Österreich zur bitteren Realität: Der Terroranschlag in Wien von November zieht weitreichende Kreise im Sicherheitsapparat, an einem Blackout ist Österreich im Jänner nur knapp vorbeigeschrammt, größere Cyberattacken hatten nicht nur das Außenministerium zum Ziel.

Klaudia Tanners erster öffentlicher Auftritt als Ministerin im Jänner 2020
Klaudia Tanners erster öffentlicher Auftritt als Ministerin im Jänner 2020 © APA/ROLAND SCHLAGER

Am Freitag wurde nun die Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2021 auf der Webseite des Bundesheeres veröffentlicht - um kurz danach wieder vom Netz genommen zu werden. Wir haben einen Blick hinein geworfen.

Hier finden Sie das Dokument zum Download:

Download 11.48 MB

Jahresvorschau 2021

Nach dem Krisenjahr 2020 ist die Sicherheitslage freilich nicht rosiger geworden, das Risikobild wurde noch um einiges dichter.  "Es wird 2021 jedenfalls keinen Lockdown von Krisen geben. Vielmehr ist mit einer Entwicklungsdynamik entlang bisheriger Konfliktlinien zu rechnen", schreibt Generalmajor Johann Frank in seiner Analyse. Frank war langjähriger sicherheitspolitischer Direktor im Verteidigungsministerium, nun ist er Direktor des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement in der Landesverteidigungsakademie.

Generalmajor Johann Frank
Generalmajor Johann Frank © BMLV/Karlovits

Für ihn ist nun der Bewährungsfall für die österreichische Sicherheitspolitik eingetreten. Schon lange sei unser Land keine "Insel der Seligen" mehr - im Gegenteil: Entwicklungen der letzten Jahre wirken sich auch unseren Staat sogar stärker aus als auf andere. Als Beispiele nennt Frank die Migrations- und Coronakrise - wobei die eine Krise die andere nur vorübergehend aus dem Blickfeld gedrängt habe.

Desinformation

Genannt werden auch die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden in Wien-Favoriten. Dort hätten sich "teils vom Ausland unterstützte subversive Organisationen formiert", die das staatliche Gewaltmonopol herauszufordern beginnen. Die von Militärs oft zitierten hybriden Bedrohungen sieht der führende Sicherheitsexperte bereits in den Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit Corona, "die sowohl von staatlichen wie auch von nicht-staatlichen Akteuren mit dem Ziel der Unterminierung des Vertrauens in die nationale wie europäische Politik betrieben wurden."

Was kommt auf uns zu?

Für 2021 sehen die Sicherheitsforscher fünf große Felder mit Bedrohungspotenzial. An erster Stelle steht die Corona-Pandemie mit all ihren strategischen Auswirkungen. Wahrscheinlich sind auch Extremereignisse, insbesondere Großschadensereignisse und Blackout. Dazu kommen Cyber- und Terrorangriffe, regionale Konflikte im europäischen Umfeld (östlicher Mittelmeerraum, Afrika) und hybride Bedrohungen in und gegen Österreich.

Als neue Faktoren tauchen in der Riskomatrix der Konflikt zwischen den USA und China, ethnoreligiöse Konflikte im Nahen Osten und eine offensive Regionalpolitik der Türkei auf. Auch die gesellschaftliche Polarisierung in Österreich, die im Schatten der Pandemie immer stärker zu Tage tritt, wird als ein Sicherheitsrisiko wahrgenommen.

Katalysator

Generell analyisert Frank: "Covid-19 hat die Sicherheitslage nicht grundsätzlich verändert, aber in vielen Bereichen als Katalysator gewirkt und bisher eher im Verborgenen abgelaufene Entwicklungen auf nationaler wie internationaler Ebene vor den Vorhang geholt und dynamisiert." Die Politik und deren Agieren in der Krise werde nun darüber entscheiden, ob Covid-19 primär eine Gesundheitskrise bleibt oder sich zu einer umfassenden Systemkrise auswächst.

Verschwimmende Grenze

Arnold Kammel, Kabinettschef im Verteidigungsministerium und Direktor für Sicherheitspolitik, gibt einen Einblick auf die neue Ausrichtung der österreichischen Streitkräfte, deren ein Profil gerade mit einem Zeithorizont bis 2030 angepasst wird. Ihr Schwergewicht sollte sich an einem hybrid agierenden, vorwiegend subkonventionellen Gegner orientieren, so Kammel. Diese hybride Bedrohung sei dadurch gekennzeichnet, "dass völkerrechtlich klar normierte Kriegsbild durch breit gefächerte, oft unvorhersehbare Formen der Gewaltanwendung ergänzt wird." Für Österreich gelte daher, dass eine klare Trennung zwischen innerer Sicherheit und militärischer Landesverteidigung immer schwieriger zu ziehen sein wird, schreibt der Kabinettschef.