Im Gesundheitsministerium liegen die Nerven blank, die von der Regierung und den Landeshauptleuten am Montag versprochenen Lockerungen wackeln. Die führenden Komplexitätsforscher der Republik haben im Vorfeld der Sitzung der Corona-Kommission am Donnerstag Prognosen erstellt, die von einer alarmierenden Dynamik des Infektionsgeschehens ausgehen. Innerhalb einer Woche dürften die Infektionszahlen von heute 2300 auf 3200 Fälle ansteigen, die Sieben-Tage-Inzidenz von 169 auf rund 230. Und die Kurve weist nach oben. Zum Vergleich: In Deutschland wurden gerade Lockerungen bei Unterschreiten einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 bzw. 100 beschlossen. Zur Einordnung: Im Regelfall werden die Prognosen der Modellrechner frühzeitig von der Realität eingeholt worden.
Steiler Aufwärtstrend in Salzburg und Kärnten
Weitere besorgniserregende Entwicklung: Von einem besonders starken Anstieg der Infektionszahlen gehen die Experten in Salzburg und Kärnten aus. Sollte der Trend anhalten, dürften bis Monatsende in ganz Österreich die Intensivstationen ähnlich stark ausgelastet sein wie im November. Am 30. November mussten 701 Corona-Erkrankte beatmet werden, derzeit werden 301 Personen intensivmedizinisch behandelt. In Wien, Niederösterreich und im Burgenland dürften, so die Experten, bereits Mitte März die Intensivstationen zu einem Drittel ausgelastet sein. Erstmals wurden sporadische Verdachtsfälle der brasilianischen Variante in Österreich entdeckt, die derzeit noch unter epidemiologischer Abklärung stehen.
Ein Wiener Anästhesist schildert auf Twitter die dramatische Situation, viele Follower schildern in der Folge ihre Erfahrungen mit Corona:
Burgenland als Mutations-Hotspot
In ihrem Endbericht Bericht hält die Corona-Kommission fest, dass mit Ausnahme von Vorarlberg die Mutationen in ganz Österreich die Oberhand gewonnen haben, Mutations-Hotspot ist das Burgenland (88 Prozent). Diese sind um 23 Prozent ansteckender als das ursprüngliche Virus. Indes sinkt immer weiter der Altersdurchschnitt der Corona-Infizierten, derzeit liegt er bei 38,8 Jahren. Während in Alten- und Pflegeheimen die Cluster wegen der Impfung zurückgehen, wächst die Sorge um die 60- bis 80-Jährigen, die noch ungeschützt und den Mutationen besonders ausgesetzt sind. Unter den Unter-25-Jährigen steigt die Zahl - wohl wegen der Testpflicht an Schulen. Das immer wieder verwendete Argument, der bundesweite Anstieg der Fälle sei auf die vermehrten Tests zurückzuführen, stimme in dieser Form nicht mehr, so der Bericht. In den letzten drei Wochen wurden täglich rund 220.000 Tests durchgeführt, dennoch steigen die Fallzahlen.
Zieht Anschober die Notbremse?
Alarm schlägt deshalb Gesundheitsminister Rudolf Anschober: „Wir stehen heute da, wo wir im Herbst schon einmal waren. Was in den Wochen danach geschehen ist, wissen wir alle noch.“ Im November starben täglich mehr als 100 Personen an Corona, damals hatte die Politik erst zwei Wochen nach den Warnungen der Modellrechner die Notbremse gezogen und einen Lockdown verkündet. Von dieser Fehlentscheidung hat sich Österreich nicht mehr erholt, seit dem 3. November sind Ausgangsbeschränkungen in Kraft. „Wenn es uns nicht gelingt, die Zahlen zu stabilisieren, droht uns eine dramatische Situation“, so Anschober. „Dann müssen wir auch darüber sprechen, ob wir die geplanten Öffnungsschritte verantworten können.“ Am Montag hatten Bundesregierung und Landeshauptleute weitgehende Öffnungen in Vorarlberg sowie ein Aufsperren der Schanigärten mit Monatsende fixiert.