Wieder einmal kam Österreich in die internationalen Schlagzeilen: „Kanzler Kurz bricht mit EU-Versagern“, titelte die auflagenstarke deutsche „Bild“ am Montag, der US-Nachrichtensender CNN nahm Österreich als Beispiel dafür, dass die gemeinsame Impfstrategie der EU „am Zersplittern“ sei.
Ausgangspunkt der Berichte: Kurz hat im Vorfeld seiner morgigen Israel-Reise angekündigt, Österreich, Dänemark und andere, noch nicht genannte Staaten würden sich in Zukunft bei der Impfstoffbeschaffung nicht mehr auf die Union verlassen. Stattdessen wollen Kurz und die dänische Premierministerin Mette Frederiksen, eine Sozialdemokratin, gemeinsam mit Israel in den kommenden Jahren Impfdosen der zweiten Generation für weitere Mutationen des Coronavirus produzieren.
„Experten schätzen den Bedarf allein für Österreich auf rund 30 Millionen Impfdosen“, sagt Kanzler Kurz in einem Pressestatement am Dienstagabend. Es gehe nicht um die aktuelle Impfstoffknappheit – sondern darum, in kommenden Jahren auf die Fortentwicklung des Virus vorbereitet zu sein: „Wir müssen uns auf weitere Mutationen vorbereiten und sollten bei der Produktion von Impfungen nicht mehr nur von der EU abhängig sein“, so der Kanzler.
Kommentar
Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte Kurz im Mai vergangenen Jahres angeboten, sich an seinen Verträgen mit Pfizer zu beteiligen. Verträge, die Israel heute zur Weltspitze bei Impfungen gemacht haben – im Austausch für umfassenden Zugriff auf Gesundheitsdaten.
Israel begann bereits am 19. Dezember 2020 zu impfen. Mittlerweile ist rund die Hälfte der Israelis mindestens einmal geimpft.
Im Nachhinein, sagt Kurz, sei der Zugang über die EU „zwar grundsätzlich richtig“ gewesen, die Europäische Arzneimittelagentur EMA sei aber zu langsam bei den Zulassungen für Impfstoffe; außerdem komme es zu Lieferengpässen von Pharmaunternehmen.
Die EU-Kommission reagierte offen auf den Vorstoß. Sie sei „interessiert, von Österreich, Dänemark und Israel zu lernen“, erklärte ein EU-Kommissionssprecher am Dienstag in Brüssel. Dies könne von zusätzlichem Wert für die EU-Impfstrategie sein. Kurz’ Aussagen, wonach Österreich nicht mehr nur von der EU abhängig sein wolle, wollte die EU-Kommission nicht kommentieren.
Netanjahu erklärte gegenüber Reuters am Montag, er werde mit Kurz und der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen „eine Zusammenarbeit zur Impfstoffproduktion“ besprechen.
Die Präsidentin des österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller, Renée Gallo-Daniel, bezeichnete den Vorstoß von Kurz als „sehr, sehr innovativ“, warnte aber vor zu hohen Erwartungen. „Prinzipiell wird es wahrscheinlich nicht so schnell gehen, weil normalerweise dauert eine Produktionsstättenerrichtung fünf bis zehn Jahre. Wenn ich eine bestehende Produktionsstätte habe, die ich umrüsten muss, brauche ich auch einige Monate bis zu einem Jahr.“ Es sei aber sinnvoll, „längerfristig zu denken“ und für künftige Pandemien gerüstet zu sein.
Grundsätzliche Unterstützung kommt von der SPÖ: Parteichefin Pamela Rendi-Wagner meinte, um genügend Impfstoff für die österreichische Bevölkerung zur Verfügung zu haben, müssten hierzulande auch Impfstoffe hergestellt werden.