Haben Sebastian Kurz und seine engsten Mitarbeiter, als sie die Neuaufstellung der ÖVP planten, Spenden gesammelt, und dafür später, als Kurz Bundeskanzler war, Gegenleistungen gebracht? Um diese Frage dreht sich der Ibiza-Untersuchungsausschuss am Mittwoch. Als Auskunftspersonen sind dafür zwei der engsten Berater des Bundeskanzlers geladen: Der Stratege Stefan Steiner, einst Büroleiter von Kurz im Integrationsstaatssekretariat und Generalsekretär, jetzt selbstständiger Berater, und Axel Melchior, der Generalsekretär der ÖVP.
Beiden haben in der „Operation Ballhausplatz“, jener Wahlkampfstrategie, die Kurz 2017 ins Kanzleramt half, eine zentrale Rolle innen: Steiner wird in den Dokumenten, die auch in den Akten zu den staatsanwaltlichen Ermittlungen rund um Finanzminister Gernot Blümel eine Rolle spielen, als Projektleiter und zuständig für Strategie, rechtliche Rahmenbedingungen und Wahlkampfvorbereitungen genannt. Zu Axel Melchiors Zuständigkeiten werden „interne Abläufe“, Wahlkampfvorbereitung und Finanzen gezählt.
Aufstieg von Kurz laut Steiner "gelebte Demokratie"
"Ich kann klar verneinen, dass Spenden geleistet wurden, weil man sich etwas erwartet hat", so Steiner, der bei den türkis-blauen Regierungsverhandlungen im Jahr 2017 Mitglied der Steuerungsgruppe war, auf eine entsprechende Frage des Verfahrensrichters. In einer liberalen Demokratie müsse genau getrennt werden, was richtig und falsch sei, so Steiner. Die "Einhaltung von Wahlversprechen" sei kein Gesetzes-Kauf und die Besetzung in staatsnahen Unternehmen "unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen" kein Postenschacher, sondern "Ausfluss des Wahlergebnisses". Und dass 2017 die SPÖ auf einmal nicht mehr den Kanzler gestellt habe, sei nicht ein "Irrtum der Wähler sondern gelebte Demokratie", meinte Steiner in Richtung der SPÖ.
Dass die ÖVP 2017 durch Spenden erhebliche Beträge lukriert habe, begründete Steiner damit, dass damals "rot-schwarzer Stillstand" im Land geherrscht habe. Mit Kurz sei dann eine "Begeisterung durch das Land gegangen", so Steiner: "Er hat viele Menschen begeistert, darunter auch Menschen, die gespendet haben." FPÖ-Mann Peter Sidlo, dessen Bestellung zum Finanzvorstand der CASAG ebenfalls im Fokus des Ausschusses steht, kenne er nur "medial", persönlich habe er mit diesem nichts zu tun gehabt. Auch die "Schredder-Affäre" sei ihm in erster Linie aus den Medien bekannt, ebenso jener umstrittene Ermittler der SoKo Tape Niko R., der die Hausdurchsuchung beim Mitarbeiter des Kanzleramts durchgeführt hatte.
Kaum Antworten auf gestellte Fragen
Vier Stunden nach dem Start des heutigen Befragungstages ist der Erkenntnisgewinn allerdings dürftig. Die Authentizität des Dokumentes zur „Operation Ballhausplatz“, das dem U-Ausschuss vorliegt, könne er nicht bestätigen. Er könne nicht ausschließen, dass etwas verändert oder abgefälscht wurde. Mit dieser Argumentation umschiffte Steiner viele Antworten. Häufig antwortete er mit Gegenfragen: Was meinen Sie mit Authentizität? Was meinen Sie mit parteinahe Vereine? Was meinen Sie mit Geldzuweisungen aller Art?
Dass der Ausschussvorsitzende Wolfgang Sobotka ihn gewähren ließ, ärgerte auch die grüne Fraktionsvorsitzende Nina Tomaselli: „Es reicht - sie strapazieren die Nerven von allen. Es zieht sich heute wie Kaugummi.“ Sobotka riet ihr, sich an die Schiedsstelle zu wenden.
Uneinigkeit herrscht zwischen den Parteien auch, ob die Finanzen der ÖVP überhaupt Gegenstand des Untersuchungsausschusses sind. Nein, meint die ÖVP. Ja, meinen alle anderen.
Verzögerungen im Vorfeld
Zu Verzögerungen kam es vor Beginn der Befragung auch, weil die SMS von Strache und Kurz dem Ausschuss immer noch nicht vorliegen. Auch die angebliche Klassifizierung der schon überfälligen Chats sorgte weiter für Unmut. Es müsste sich schon um Staatsgeheimnisse handeln, welche die Geheimhaltungsstufe 3 rechtfertigten, befand NEOS-Fraktionsführerin Stephanie Krisper. Nina Tomaselli von den Grünen beschwerte sich darüber, dass die Sichtung des Beweismittels dadurch mit einem immensen Aufwand verbunden sei.
Im Vorfeld der Befragung hatte es auch Diskussionen gegeben, weil Steiner als Vertrauensperson Rechtsanwalt Werner Suppan an seiner Seite gehabt hatte. Suppan, der wiederholt anwaltlich für die ÖVP tätig und Ersatzmitglied am Verfassungsgerichtshof ist, steht nämlich ebenfalls auf der Liste der Auskunftspersonen im Zusammenhang mit einem Angebot des späteren Ibiza-Anwalts im Jahr 2014, bei dem es um belastendes Material über den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ging.
Blümel-Ehefrau war mit Laptop spazieren
Vor der Sitzung beklagten die Fraktionsführer, dass die SMS zwischen Kurz und Ex-Vizekanzler Strache noch immer nicht geliefert wurden. Auch die angebliche Klassifizierung der schon überfälligen Chats sorgte weiter für Unmut. Am Mittwoch durchgesickerte Details über die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) regten wiederum Hafenecker auf. Laut "Standard" soll Blümels Notebook zuerst von den Ermittlern nicht aufgefunden worden sein, da die Ehefrau des Beschuldigten diesen zu einem Spaziergang mitgenommen hatte. Das Gerät wurde von einem Mitarbeiter Blümels schließlich zurückgebracht. Hafenecker kündigte eine Anzeige wegen Beweismittelunterdrückung an.
Melchior gibt sich zurückhaltend
ÖVP-Generalsekretär Melchior - im Gegensatz zu seinen Vorgängern relativ zurückhaltend, was Attacken auf politische Gegner angeht – ist zuletzt in den eigenen Reihen unter Beschuss gekommen: „Die Türkisen vermissen ihren Generalsekretär“, titelte der „Kurier“. Die Landesparteien würden einen stärkeren General fordern, berichtete die Zeitung unter Berufung auf nicht nähere genannte Quellen.
Melchior sei demnach zu zurückhaltend: In der Dramaturgie der ÖVP-Attacken auf die Arbeit der Staatsanwaltschaften habe Melchiors Stimme etwa gefehlt. In seiner Position brauche es jemanden mit mehr Killerinstinkt - etwa vom Schlage Wolfgang Sobotkas, der freilich derzeit als Nationalratspräsident ein neutrales Amt ausübt.
Gericht für Auslieferung von mutmaßlichem Drahtzieher
Der mutmaßliche Drahtzieher des "Ibiza-Videos" soll nach Österreich ausgeliefert werden. Das Kammergericht Berlin habe entschieden, dass eine Auslieferung von Julian H. zulässig sei, sagte Gerichtssprecherin Lisa Jani am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Der heute 40 Jahre alte Mann, der mit europäischem Haftbefehl gesucht wurde, war Mitte Dezember 2020 in der deutschen Hauptstadt festgenommen worden.
Die Gerichtssprecherin sagte, es gehe dabei nicht um die Fertigung der Aufzeichnungen, sondern um mögliche Erpressung im Zusammenhang mit dem Video sowie mutmaßliche Drogen-Straftaten. Bei der Staatsanwaltschaft hieß es: "Das Auslieferungsverfahren ist in Gange."