Täglich neue Details gibt es in der Causa Brandstetter - Pilnacek rund um mögliche Interventionen vor einer Hausdurchsuchung bei Immobilieninvestor Michael Tojner und in in der Causa Blümel in Zusammenhang mit einer drohenden Steuernachzahlung für die Novomatic in Millionenhöhe in Italien. Die "Presse" veröffentlichte einen Chatverkehr vom Tag der Hausdurchsuchung bei Tojner, dem 25. Juni 2019, der die damals offenbar übliche Kommunikation illustriert: Das Gerücht über eine bevorstehende Hausdurchsuchung hatte - nicht zuletzt über Anfragen von Medien - offenbar die Runde gemacht.
"Ganz ruhig bleiben"
Am Tag vor der Hausdurchsuchung versuchte Tojner seinen Anwalt, den ehemaligen Justizminister und heutigen Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter, zu erreichen – erfolglos. Der schrieb ihm: „Bin gerade im BMJ. Melde mich sobald wie möglich.“ Am Tag der Hausdurchsuchung, schrieb Brandstetter: „Wenn die heute kommen, ganz ruhig bleiben. Rechtsmittel gegen diese HD machen absolut Sinn. (...) Bin per SMS erreichbar! Venceremos!“
Laut Bericht in der Tageszeitung „Die Presse“hatte Brandstetter an diesem Tag keinen Termin beim damaligen Generalsekretär im Justizministerium, dem heutigen, wegen der Ermittlungen vorübergehend suspendierten, Sektionschef Christian Pilnacek, aber bei Minister Clemens Jabloner. Und woher wusste Brandstetter, dass „heute“ eine Durchsuchung stattfinden soll? „Wusste er nicht“, sagt sein Anwalt Georg Krakow laut "Presse". „Ersetzen sie das Wort ,wenn' einfach durch ein ,falls'. So war es gemeint.“
Anwalt widerspricht
Der Anwalt Tojners Karl Liebenwein hielt am Samstag in einer schriftlichen Stellungnahme ein weiteres Mal fest, dass es keine Information Brandstetters bezüglich der Razzia gegeben habe. Dieser habe lediglich Empfehlungen über das Verhalten im Falle einer Hausdurchsuchung gegeben. Der Schriftverkehr zwischen den beiden zeige eine "selbstverständliche Abstimmung und juristische Beratung über das laufende Verfahren". Von der Aktion sei Tojner durch Medien vorinformiert gewesen. Dies sei über Anwälte auch der WKStA mitgeteilt worden.
Wer wen wann und worüber tatsächlich informiert hat, ist Gegenstand der Ermittlungen. Brandstetter und Pilnacek werden von der Staatsanwaltschaft Wien beschuldigt, Amtsgeheimnisse verraten zu haben. Es geht um zwei Causen: Einerseits sollen Ermittlungsdetails im Fall von Christoph Chorherr im Zusammenhang mit dem Heumarkt-Projekt an den Beschuldigten Tojner verraten worden sein. Und eben der Verdacht auf Verrat der Hausdurchsuchung bei Tojner.
Die Staatsanwaltschaft Wien hat indes den Verfassungsgerichtshof am Freitag um Amtshilfe ersucht. Präsident Christoph Grabenwarter ist dem Ersuchen nachgekommen und war persönlich bei der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft war bereits am Donnerstag beim Höchstgericht vorstellig geworden. Sie wollte elektronische Geräte Brandstetters, gegen den wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird. Übergeben wurde das Gewünschte schließlich in der Kanzlei von Brandstetters Anwalt.
Verflechtungen und Korruption
Wie korrupt ist Österreich? Anti-Korruptionsexperte Franz Fiedler hält dazu im Interview mit Ö1 fest, "dass wieder einmal offenkundig wurde, dass die Verflechtung und Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft zu eng ist" und die Korruptionsanfälligkeit dadurch genährt werde. Ohne die Frage, ob die Verdächtigungen tatsächlich schuldig sind, vorwegzunehmen, fordert Fiedler, "Konsequenzen zu ziehen, dass es nicht mehr dazu kommen kann, dass immer wieder Verdachtsmomente aufkommen, die zu Strafverfahren führen."
Insbesondere die ÖVP, deren Proponenten, zuletzt vor allem auch Finanzminister Gernot Blümel, zunehmend in die Schlagzeilen gerieten (Blümel in Zusammenhang mit einer vermuteten Intervention zugunsten des Glücksspielkonzerns Novomatic) reagierte mit Kritik an den ermittelnden Behörden, insbesondere der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).
"Das schädigt die Justiz"
Irmgard Griss, ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichthofes, hielt im Ö1-Journal dazu fest: "Wenn solche Vorwürfe von der Regierungsspitze kommen, haben diese besonderes Gewicht. Das schädigt die Justiz, und das Vertrauen in die Justiz ist für einen Rechtsstaat die Grundvoraussetzung." Solche Angriffe zielen darauf ab, abzuwehren, dass unabhängig der Sachverhalt festgestellt werde. "Das, finde ich, zeigt schon eine seltsame Einstellung zur Justiz und zum Staat."
"Novomatic zahlt alle", hatte Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video getönt - und damit einen Teil der aktuellen Ermittlungen ausgelöst. Wer offenbar tatsächlich Geld bekommen hat, geht aus interner Liste hervor, die bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurde.
Ein Schaden entsteht indes nicht nur für den Rechtsstaat, sondern auch für Österreichs Image als Wirtschaftsstandort, hält Wifo-Chef Christoph Badelt fest. Wobei er im Ö1-Mittagsjournal konkretisierte: "Hier haben wir es ja weniger mit Korruption im Sinne der persönlichen Bereicherung zu tun. Es geht vielmehr darum: wer übt wie und innerhalb oder außerhalb juristischer und moralischer Grenzen Einfluss auf die Politik aus?" Davon abgesehen seien die aktuellen Affären neben der Corona-Pandemie der zweite Ablenkungsfaktor, der die Politik daran hindere, wirtschaftlich längst notwendige Weichenstellungen zu veranlassen.
Quo vadis, Österreich?
Die Frage ist vor allem, was für die Zukunft getan werden kann, um Malversationen, wie sie jetzt die Republik erschüttern, zu verhindern. Eine Hausdurchsuchung macht noch keinen Neuanfang, und eine Sicherstellung ist noch keine Revolution. Erst wenn man nicht mehr auf "Zufallsfunde" angewiesen ist, sondern ein System hochgezogen wurde, das alle Spieler im System gleichermaßen im Auge hat und gleich behandelt, ist ein Fortschritt in Sicht.
"Speckgürtel wird noch fetter"
Dazu kommt, dass das Verbrechen gewöhnlich rasch neue Wege findet. Wird eben nicht mehr über SMS kommuniziert sondern auf andere Weise. "Wenn man die Strukturen nicht stärkt, wird der Speckgürtel rund um den Staat noch fetter werden", sagt Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur, der das verfilzte "Berater- und Interessensnetzwerk" rund um die Politik seit der Eurofighter-Affäre aufs Korn genommen hat.
Korruptionsexperte Martin Keutner erklärt im "Kurier", warum Mauscheleien zwischen Politik und Wirtschaft weiter ein Problem sind. "Generell wird es immer dort problematisch, wo – auch aufgrund der Kleinheit des Landes – Entscheidungseliten in Politik und Wirtschaft meinen, sie müssten sich bei Kaffeekränzchen oder Sauschädelessen Dinge ausmauscheln. Die Übergänge sind da fließend. Aber die Nähe, die manche Protagonisten zueinander pflegen, wird im Ausland kritisch gesehen."
Anwälte als Verursacher der "Leaks"
Sowohl Peschorn als auch Keutner sehen aber auch in der in Mode gekommenen und in Österreich nicht strafbaren vorzeitigen Veröffentlichung aus Ermittlungsakten ein Problem. Keutner im Kurier: "Als ehemaliger Ermittler sage ich Ihnen: Die unmittelbar am Fall arbeitenden Ermittlungsbehörden haben das allergeringste Interesse, dass etwas in die Öffentlichkeit kommt. Alles, was nach außen dringt, macht die Arbeit komplizierter, mehr noch: Mitunter gefährdet es die gesamten Ermittlungen, weil Betroffene vorgewarnt werden. Die sogenannten Leaks kommen in den meisten Fällen von anderen, die Akten-Einsicht haben – nicht von Ermittlern selbst."
Die Medien sind nur die Überbringer der News. Peschorn zur "Kleinen Zeitung": Die Anwälte, die den Aktenzugang haben, blieben gerne im Hintergrund anstatt sich zu deklarieren und offen aus diesen Akten zu zitieren, wenn sie das für vertretbar halten. Und nähmen damit in Kauf, dass auch Dritte belastet werden, noch bevor die Fakten geklärt seien. Der Satz "Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung", der auch für diesen Artikel gilt, hilft ihnen dabei wenig.
Claudia Gigler