Vor etwas mehr als drei Monaten zog ein schwerbewaffneter 20-Jähriger durch die Wiener Innenstadt und schoss um sich. Bilanz des Terror-Anaschlags: Vier Tote und zahlreiche Verletzte, der Täter wurde erschossen.
Heute liegt der Endbericht jener Sonderkommission vor, die nach der Tat eingesetzt worden war, als mehrere Ermittlungspannen publik wurden. Der Bericht, der der "Kleinen Zeitung" vorliegt, enthält keine geschwärzten Passagen, umfasst jedoch nur 30 Seiten. Das Gremium unter Vorsitz der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes zeigt darin vor allem Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes auf.
Unklare Strukturen, versickerte Informationen, belastetes Klima
Vor allem die Verteilung der Zuständigkeit zwischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und den entsprechenden Behörden in den Ländern müsse "überdacht und klarer gestaltet" werden, heißt es dort. Informationen zum versuchten Munitionskauf seien z.B. nur einzelnen Mitarbeitern bekannt gewesen. Zum BVT ist im Bericht festgehalten: "Die stets angekündigte Neustrukturierung des BVT sollte nun ohne weitere Verzögerungen und transparent durchgeführt werden." Die "Reform des BVT" sei "zügig abzuschließen", denn der Fall habe offenbart, dass "die neun LVT und das BVT nur auf die eigenen Daten zugreifen" können, ohne Einblick in die des anderen zu haben. Das führe zu zusätzlichen Verzögerungen.
Herbe Kritik erntet auch das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT). Dort habe man zehn Monate für eine Erstbewertung des späteren Täters nach dessen Haftentlassung gebraucht. Und das, obwohl davor bereits zahlreiche Handlungen des Mannes für seine Gefährlichkeit gesprochen haben. Und: "Keiner der Sachverhalte wurde an die Staatsanwaltschaft gemeldet." Zudem lasse auch der Informationsfluss innerhalb des Innenministeriums zu wünschen übrig. Operative Lagebilder zu islamistischen Extremismus und Terrorismus habe man für die Monate Juli bis Oktober 2020 nicht vorlegen können. Ein Lagebild zu Foreign Terrorist Fighters, wozu auch der spätere Attentäter zu rechnen war, habe nur bezogen auf 2019 existiert. Mehrfach fiel auch eine "mangelhafte Datenverarbeitung" auf.
Im LVT Wien und im BVT herrsche zudem eine "belastete Arbeitsatmosphäre" sowie eine hohe Belastung für die Mitarbeiter. Dies führe man auf "problematisches Personalmanagement" zurück.
"Mangel an Informationen"
Der Strafvollzug des späteren Terroristen sei laut Kommission ordnungsgemäß abgelaufen, alle Vorgaben seien hier eingehalten worden. Zudem sei "kein Defizit" im bestehenden Terrorismusstrafrecht erkennbar. Der im Anti-Terror-Paket beworbene Straftatbestand der "religiös motivierten extremistischen Verbindung" wird im Bericht hingegen als "überflüssig" und unbegründet bezeichnet. Auch die vorzeitige Entlassung sei rechtens gewesen, hier brauche es ebenfalls keine Verschärfungen.
Skeptisch zeige man sich angesichts der "elektronischen Fußfessel"', die für Gefährder ebenfalls im Paket festgehalten ist. Im konkreten Fall hätte eine solche "kaum zusätzliche Erkenntnisse geliefert". "Die Defizite lagen nicht an einem Mangel an Informationen, sondern an der mangelhaften Verwertung dieser Informationen."
Kommission habe "weisungsfrei gearbeitet"
Aber: Informationen über den Mann wie geheime observierte Treffen und der versuchte Munitionskauf im Ausland haben der Kommission offenbart, "dass diese Informationen an unterschiedlichen Stellen verteilt sind". Das gelte für den Bereich Justiz genauso wie für jenen der polizeilichen Gefahrenabwehr. Zudem hätte es vor der Entlassung des späteren Täters eine Fallkonferenz gebraucht, um eben diese Informationen zusammenzuführen. Hier brauche es einen "besser zugeschnittenen Weisungskatalog".
Erneut betonen die Autoren des Berichtes, dass die Deradikalisierungsarbeit, die auch beim späteren Täter zum Einsatz gekommen war, besser gesetzlich zu verankern und mit finanziellen Mitteln auszustatten. Dass diese von einem privaten Verein organisiert wird, sei nicht wünschenswert.
Die Kommission habe "weisungsfrei gearbeitet", wird im Bericht betont. Es seien alle nötigen Akten zur Verfügung gestanden, Bitten um Auskünfte sei man nachgekommen.
Nehammer "froh" über Arbeit der Kommission
"Ich bin froh, dass die Untersuchungskommission so rasch und konsequent gearbeitet hat, dass bereits circa drei Monate nach dem Terroranschlag ein umfassender Bericht vorliegt", dankte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion der Zerbes-Kommission. Fehler müssen "aufgezeigt" werden, ebenso wie Pläne für die bevorstehenden Reformen. Jene des BVT sei "essentiell", hier sei man in der finalen Abstimmung. Am wichtigsten bei der Neuaufstellung sei die Trennung des nachrichtendienstlichen vom staatspolizeilichen Teil, sagte er Mittwochnachmittag vor Journalisten. Alle legistischen Vorhaben dafür sollten noch im ersten Quartal dieses Jahres fertig werden, versprach er. "Es gibt aber auch keine Organisation, bei der keine Fehler passieren."
Zudem müsse man "das Gefährdermanagement" dringend neu aufstellen. Die Kommunikationsabläufe müssen ebenfalls überdacht werden. Man werde zudem das Personal des neuen Verfassungsschutzes über die nächsten Jahre "verdoppeln".Angesprochen auf die Kritik und Skepsis der Kommission bezüglich des "Anti-Terror-Pakets" winkt Nehammer ab, diese Inhalte seien nicht für den Fall relevant, sondern Maßnahmen für die Zukunft.
Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, will zudem auf eine härtere Auswahl und eine bessere Ausbildung bei den Beamten sowie auf das Einbinden von Wissenschaftler in der Arbeit setzen.
In Vertretung der in ihrer Babypause befindlichen Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bemerkte Vizekanzler Werner Kogler: "Wie bereits der Zwischenbericht der Untersuchungskommission zeigt auch der Endbericht auf, dass die Bediensteten der Justiz korrekt, 'gesetzmäßig' und 'sinnvoll' gehandelt haben." Es brauche nun "angesichts des im Kommissionsbericht festgestellten Versagens des Verfassungsschutzes" eine "Neuaufstellung des BVT an Haupt und Gliedern".
SPÖ sieht "Totalschaden"
Von ihrem Eindruck bestätigt sehen sich nach der Veröffentlichung des Berichts die Oppositionsparteien. “Das BVT ist ein Totalschaden, der nicht mehr zu reparieren ist”, halten SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner und SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer in einer Aussendung fest. Der Bericht zeige, “wie schlimm es im Innenministerium zugeht”. Der Innenminister sei daher nicht nur eine Gefahr für Österreich. “Nehammer macht uns damit auch international in der Terrorbekämpfung zur Lachnummer”, so Einwallner.
Laut FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer macht der Abschlussbericht “das systematische Versagen des Staatsschutzes überdeutlich und nährt zudem den Verdacht, dass die Ressortspitze vom Innenminister bis zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit auch gegenüber der Kommission nicht mit offenen Karten gespielt hat, sondern – wie zunächst auch gegenüber der Öffentlichkeit – die ganze Wahrheit vertuschen wollte.” Sowohl die SPÖ als auch die FPÖ fordern Innenminister Nehammer daher zum Rücktritt auf.