Am Allerseelen-Tag des Jahres 2020 hatte ein mazedonisch-stämmiger Österreicher bei einem Terrorakt in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und war anschließend von der Polizei erschossen worden. Der Mann war einschlägig vorbestraft, zudem wurde im Nachhinein bekannt, dass der Staatsschutz sowohl wusste, dass er Islamisten aus Deutschland und der Schweiz in Wien traf als auch, dass er in der Slowakei vergeblich Munition zu kaufen versuchte.
Angesichts dessen war es mäßig überraschend, dass die Zerbes-Kommission Missstände feststellen würde. Aufgezeigt wurden Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden.
Nachfragen blieben unbeantwortet
Die Kommission kritisiert etwa, dass das vom Staatsschutz observierte Islamisten-Treffen in der Bundeshauptstadt offenbar nicht an die Generaldirektion berichtet wurde. Nachfragen der Kommission, ob Einzelinformationen zu terroristischen Gefahren "nach oben gemeldet wurden, wurden nicht abschließend beantwortet", heißt es im Abschlussbericht, womit hier ein Fragezeichen bestehen bleibt.
Der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, nahm am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal dazu Stellung und bestätigte, dass er über das Treffen der Dschihadisten und den versuchten Munitionskauf in der Slowakei nicht informiert gewesen sei. Das habe er auch der Kommission mündlich und schriftlich bekanntgegeben.
Arbeitsklima im BVT „zerrüttet“
Die "Ersteinschätzung" beim späteren Attentäter sei erst nach zehn Monaten abgeschlossen gewesen, eine "Zusammenschau" war für Mitte November und somit zwei Wochen nach dem Attentat geplant, wird weiter kritisiert. Dass die einzelnen Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) nicht in die Daten der jeweils anderen Behörden Einschau nehmen können, sondern Aktenstücke speziell anfordern müssen, hält die Zerbes-Kommission für problematisch. Das Arbeitsklima im BVT nannte sie "zerrüttet".
"Das Erstaunlichste, was wir festgestellt haben, ist, dass es keinen effizienten, professionellen Datenaustausch zwischen den einzelnen Behörden gibt, die für den Staatsschutz verantwortlich sind“, so Zerbes.
Ruf begründete den schleppenden Datenaustausch gegenüber Ö1 damit, dass es sich bei den operativen Informationen um „hochsensible und klassifizierte“ Daten handle. Diese müssten im Informationsgefüge abgesprochen, analysiert und aufbereitet werden. Im Rückblick gesehen wäre es aber angebracht gewesen, die Justiz schneller zu informieren, so Ruf.
Innenminister in Reform-Bemühungen bestärkt
Der Innenminister sah sich durch den Bericht in seinen Reform-Bemühungen bestärkt. Wesentlichste Ableitung aus dem Kommissionsbericht sei, die Reform des Verfassungsschutzes massiv voranzutreiben, wie Ressortchef Karl Nehammer (ÖVP) in einer Pressekonferenz betonte. Am wichtigsten bei der Neuaufstellung sei die Trennung des nachrichtendienstlichen vom staatspolizeilichen Teil. Die Kommunikationsabläufe müssten genauestens evaluiert, die Kommunikationsverluste zwischen Bundesamt und Landesämtern minimiert werden. Zudem soll das Personal verdoppelt werden.
Wenig Freude hat Nehammer hingegen mit weiteren Anmerkungen der Kommission, nämlich jenen bezüglich der Regierungspläne, auch gesetzliche Maßnahmen als Folge des Anschlags einzuleiten. Das Gremium geht nämlich davon aus, dass der Anschlag in der Innenstadt "kein Defizit des bestehenden Terrorismusstrafrechts sichtbar macht". In diesem Bereich bestehe "kein Ergänzungsbedarf".
Den geplanten neuen Tatbestand einer religiös motivierten extremistischen Verbindung nennt die Zerbes-Kommission "überflüssig" und verfassungsrechtlich bedenklich. Den Vorschlag, für wegen einer extremistischen Straftat verurteilte "Gefährder" eine über ihre Strafe hinausreichende "Unterbringung" - etwa im Maßnahmenvollzug - vorzusehen, lehnt die Zerbes-Kommission als ungeeignet ab. Die Experten schlagen dagegen eine strukturell verbesserte und finanziell höher dotierte Deradikalisierung vor.
Nehammer wies die Kritik zurück. Die Maßnahmen verteidigte der Innenminister damit, dass man präventiv vorgehen müsse. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) äußerte sich zurückhaltender. Man werde alle Stellungnahmen "aber insbesondere die der Kommission jetzt genau prüfen und anschauen". "Manches ist gut im Antiterrorpaket, anderes wird hier noch zu begutachten sein, auch von uns, wo wir in der Tat kritische Rückmeldungen bekommen haben."
Für die SPÖ zeigt der Bericht, dass "erhebliche Mängel bei der Bekämpfung terroristischer Straftaten" bestünden und eine komplette Neuaufstellung des Staatsschutz notwendig sei. Nehammer solle zurücktreten, findet die SPÖ und die FPÖ und die NEOS schlossen sich da gleich an. Für FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer ist das Vertrauen in den Innenminister "längst erschöpft". Die Erkenntnisse der Kommission seien zum Teil haarsträubend. Von einem "desaströsen Zustand" des Staatsschutzes und "Gefahr in Verzug" sprachen die NEOS. Dass der Kommission bei ihrer Arbeit "Hindernisse" in den Weg gelegt worden seien, erfordere ebenfalls noch eine genaue Prüfung.
Hier hakt dann auch der Koalitionspartner ein. Es sei völlig inakzeptabel, dass der Kommission vom BVT offenbar Informationen vorenthalten worden seien, meinte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer: "Nach dem offensichtlichen Versagen des BVT hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über alle Missstände in den verantwortlichen Behörden umfassend und transparent informiert zu werden." Der Innenminister müsse nun umgehend eine komplette Neuaufstellung des Bundesamts liefern.
Kogler, der aktuell die Justizminister-Agenden verwaltet, konstatierte, es sei festzustellen, dass seitens der Behörde und der Mitarbeiter im Ressort über weite Strecken im wesentlichen "alles korrekt und richtig gemacht wurde".