Pro: Christian Konrad, Ex-Flüchtlingsbeauftragter
Österreichs Asylsystem schiebt viel zu oft Kinder ab, die sich gut integriert haben, fleißig, lernbegierig und Teil einer Klassengemeinschaft sind. Das System braucht dringend einen Qualitätsschub.
Sollen gut integrierte Familien mit Kindern abgeschoben werden?
Nein!
Denn wenn sie gut integriert sind, sind sie schon mehrere Jahre in Österreich. Sie haben Freundschaften geschlossen. Nehmen am Leben ihrer Mitbürger*innen teil, bringen sich in das Leben von Gemeinden ein.
Obwohl sie nicht arbeiten dürfen, werden sie durch ihr Engagement als fleißig erlebt. Obwohl ihnen kein Deutschunterricht ermöglicht wird, haben sie Deutsch gelernt, durch Unterstützung und Engagement von Einzelpersonen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Sie sind ihren Kindern gute begleitende Eltern. Ihr Ziel ist es, dass ihre Kinder ein Leben mit Perspektiven haben. Sie wissen, dass sie selbst unter ihrer eigenen Qualifikation Beschäftigung werden annehmen müssen, eigene große Ziele vielleicht nie verwirklichen können. Die Republik Österreich hat ihnen strukturell während des mehrjährigen Verfahrens keine Aus- und Weiterbildung angeboten. Aber zivilgesellschaftliche Initiativen und NGOs durchbrechen mit Kreativität und Engagement den unsinnigen Zwang zum Nichtstun während des Asylverfahrens.
Die Kinder haben schnell Deutsch gelernt, beherrschen die Sprache besser als manche Österreicher*innen. Sie sind mit ihrer Mehrsprachigkeit und ihren Talenten eine Bereicherung. Sie haben oft schwierige Erfahrungen in Verbindung mit der Flucht gemacht und sind trotzdem mit starkem Willen lernbegierig und Teil einer Klassengemeinschaft, eines Freundesnetzes.
Das Asylsystem braucht einen Qualitätsschub. Die Fehlerquote der ersten Instanz liegt seit Längerem bei rund 40 Prozent. Mehrjährige Asylverfahren gibt es immer noch zu oft. Zur Qualitätssicherung bin ich für die Aufzeichnung der Befragungen in Asylverfahren.
Und ich bin dafür, dass jene, die in zweiter Instanz im Bundesverwaltungsgericht in Asylfragen entscheiden, die justizinterne Richterausbildung absolvieren müssen. Diese beinhaltet u. a. auch Grundkenntnisse in Bereichen der Psychologie, über Traumatisierungen, Glaubwürdigkeitseinschätzung usw., ebenso wie die intensivere Schulung zu Menschenrechten.
Das Kindeswohl, wie in der UN-Kinderrechtskonvention von Österreich unterschrieben, muss vorrangig beachtet werden. Das ist vom BMI und seinen Dienststellen vor einer Abschiebung zu prüfen.
Ich bin außerdem dafür, dass, bevor Menschen abgeschoben werden, jene, die mit ihnen direkt Erfahrung haben, gehört werden: Bürgermeister*innen, Lehrer*innen, zivilgesellschaftlich Engagierte.
Kontra: Walter Obwexer, Europa- und Völkerrechtler
Drittstaatsangehörige, denen kein Schutz gewährt wird, halten sich unrechtmäßig im Staat auf und müssen binnen kürzester Zeit abgeschoben werden. Um davon abzusehen, gibt es jetzt schon Ausnahmeregeln.
Das in Österreich geltende Asylrecht beruht auf dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem. Zusätzlich müssen nationale und jedenfalls die im Unionsrecht garantierten Grundrechte beachtet werden.
In Österreich ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zuständig. Während des Verfahrens dürfen die Antragsteller sich im Mitgliedstaat aufhalten. Die zuständige Behörde hat zu prüfen, ob ein Antragsteller die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (begründete Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat) oder den subsidiären Schutzstatus (Gefahr für das Leben oder drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat) erfüllt. Dabei sind auch die Grundrechte, insbesondere der Schutz des Privat- und Familienlebens sowie die Rechte des Kindes, zu berücksichtigten. Im österreichischen Asylverfahren werden also nicht nur die „klassischen“ Verfolgungsgründe geprüft, sondern auch, ob die Person in Österreich gut integriert ist. Falls der Antrag nicht gewährt wird, ist Rechtsschutz vom Bundesverwaltungsgericht sowie vom Verwaltungsgerichtshof und vom Verfassungsgerichtshof garantiert.
Drittstaatsangehörige, denen kein Schutzstatus gewährt wird, halten sich unrechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat auf. Sie müssen binnen kürzester Frist abgeschoben werden. Von dieser unionsrechtlichen Pflicht können die Mitgliedstaaten nur absehen, wenn sie dem Drittstaatsangehörigen nach klar festgelegten gesetzlichen Kriterien eine „humanitäre Aufenthaltsberechtigung“ erteilen.
Im Asylgesetz gibt es dazu zwei Möglichkeiten: einen Aufenthaltstitel zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens (§ 55 AsylG) und einen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen (§ 56 AsylG). In ersterem Fall hat sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Kriterien eng an die Judikatur des VfGH angelehnt. In letzterem Fall muss der Antragsteller einen gewissen Grad an Integration erfüllen und sich insbesondere nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufgehalten haben, davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, rechtmäßig. Als letztes Sicherheitsnetz zur Gewährleistung der Grundrechte ist noch unmittelbar vor jeder Außerlandesbringung zu prüfen, ob die Abschiebung zu einer Verletzung von Grundrechten, u. a. der Rechte des Kindes, führen würde.
Fazit: Eine Abschiebung von Kindern mit Drittstaatsangehörigkeit kann nur unter Beachtung der Grundrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, erfolgen.