Herr Vizekanzler, wie geht es nach der Empörung der vergangenen Tage mit den abgeschobenen Mädchen weiter? Werden sie nach Österreich zurückkommen?

Werner Kogler: Der Vorgang empört die Mehrheit der Menschen in Österreich. Die Rechtsvertreter bemühen sich um Lösungen und es wäre gut, wenn da Möglichkeiten gefunden werden.

Wird die Kindeswohlkommission dazu einen Beitrag leisten?

Die Kindeswohlkommission hat eine andere Aufgabe. Der Innenminister hat völlig unzutreffend Ausflüchte gesucht mit der Behauptung, der Rechtsstaat würde nichts Anderes zulassen. Unsinn. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, gut integrierte und in Österreich geborene Schulkinder abzuschieben. Es gibt aber die politische Verpflichtung, Kindeswohl und Kinderschutz in den Mittelpunkt zu stellen. Die Kommission soll jetzt die Rechtspraxis und diese Spielräume offenlegen, dann kann es solche Ausreden wie vom Innenminister nicht mehr geben.

Gibt es auch ein klares Bekenntnis dazu, dass die Empfehlungen der Kommission umgesetzt werden?

Das Aufzeigen der Spielräume und Notwendigkeiten auch unter geltender Rechtslage werden alle ernst nehmen müssen, denen das Kindeswohl am Herzen liegt. Das ist eine konkrete politischer Maßnahme von uns, die mit Sicherheit die Basis dafür ist, die Lage zu verbessern.

Sie wollen dem Innenminister die Argumentation nehmen.

Nicht nur das, sondern ihn auch zu einem kindeswohlkonformen Handeln zwingen.

Haben Sie der ÖVP Zugeständnisse abringen können?

Offensichtlich haben wir da einen offenen Konflikt und für eine Änderung der gesetzlichen Rahmen keine Mehrheiten im Nationalrat, deshalb gehen wir den Weg der Kommission. Die Rechtspraxis ermöglicht ganz andere Handlungsspielräume.

Der Konflikt ist mit dieser Kommission also nur vertagt?

Allein mit der Behauptung aufzuräumen, dass rechtlich nichts anderes möglich wäre, ist schon einmal ein großer Schritt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die ÖVP hinstellt und erklärt, man muss gut integrierte Schulkinder mit Sondereinheiten abholen und mitten in der Nacht abschieben, wenn die Ergebnisse der Kommission das Gegenteil aufzeigen.

Im Nationalrat gab es einen Misstrauensantrag gegen den Innenminister, der von keinem einzigen Grünen unterstützt wurde. Vertrauen Sie Innenminister Nehammer noch?

Die Motive für den Antrag wurden von einer völlig durchgeknallten Kickl-FPÖ zugrundgelegt– das ist nur ein wildes Umsichschlagen. Es gibt kein Motiv, einem solchen Antrag zuzustimmen. Der andere von der SPÖ eingebrachte Punkt ist der Umgang mit den Anti-Corona-Maßnahmen-Demos. Dass es da für den Innenminister keine bessere Handhabe gäbe, das verstehen wir nicht, aber das ist nicht ausreichend für ein Misstrauensvotum. In der Abschiebungsfrage haben wir einen offenen Konflikt.

Haben die letzten Tage Ihr Vertrauensverhältnis beeinträchtigt?

Selbstverständlich ist das Vertrauen geschrumpft, weil er ja Dinge behauptet hat, die nicht zutreffen.

Ihr Abgeordneter Michel Reimon hat angekündigt, dass die Grünen jetzt eine Sprache sprechen werden, die die ÖVP versteht. Was ist das für eine Sprache?

Ich bin selbst bekannt dafür, etwas direkter zu formulieren, und das haben wir in dieser Causa auch gemacht. Die Sprache folgt unserem Engagement, hier einen Pflock einzuschlagen. Ich würde mir mehr Herz und Hirn erwarten, speziell vom Innenminister.

Gab es in diesen Tagen eine reale Möglichkeit, dass die Koalition daran zerbricht?

Wir haben die Aufgabe, in der größten Pandemie seit hundert Jahren die Verantwortung für Österreich zu übernehmen. Und zwar auf eine Art und Weise, die hier nur die Grünen einbringen. Indem wir Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung nicht nur unter einen Hut bringen, sondern uns mit diesen Grundprinzipien aus der Krise herausinvestieren.

Wird die Regierung die volle Legislaturperiode überdauern?

Da bin ich sehr zuversichtlich, auch was konkrete Projekte angeht. In Budgetfragen haben sich weitgehend die Grünen durchgesetzt. Die Milliarden für das Comeback sind beschlossen, über zwei Drittel gehen in Modernisierung, Ökologisierung, Klimaschutz-Investitionen. Da geht es um 100.000 neue Arbeitsplätze aufwärts.

Die Streitfrage wird eher sein, woher das Geld kommen soll.

Das ist jetzt gar keine Streitfrage und die nächsten Jahre auch nicht. Warum? Weil Österreich ökonomisch so gut dasteht, dass wir für das Corona-Geld, das wir da aufnehmen, keine Zinsen zahlen. Viel wichtiger ist, wofür wir das Geld verwenden und genau von dem Punkt haben wir ja die ÖVP überzeugt.

Zum Ende des Lockdowns: Der Richtwert für Öffnungen lag immer bei einer Inzidenz von 50, jetzt ist er doppelt so hoch.

Natürlich wäre es besser, wenn wir noch weiter herunterkommen würden. Deshalb haben bei diesen Öffnungsschritten ganz konkrete Sicherheitsschritte eingebaut und gehen hier sehr vorsichtig heran. Das ist in der Abwägung zwischen epidemiologischen und gesellschaftlichen Risiken verantwortungsvoll. Uns war vor allem das sichere Zurückkehren an die Schulen das wichtigste Anliegen. Es muss neben niedrigen Infektionszahlen auch darum gehen, dass gerade die Kinder, die Familien und die Frauen zu einem Leben kommen, dass tragbarer und gangbarer ist.