Es gab einmal eine Zeit, da war Karl Nehammer ÖVP-Generalsekretär - der dem damaligen Innenminister Herbert Kickl von seinem damaligen Koalitionspartner, der FPÖ, inhaltlich und atmosphärisch den Rücken freihielt. Das ist keine zwei Jahre her - aber am Donnerstagnachmittag schien das fernste Vergangenheit.
Die Sondersitzung des Nationalrats hat den erwarteten Schlagabtausch zwischen Nehammer, heute selbst Innenminister Kickl, nunmehr FPÖ-Klubobmann, gebracht. Letzterer kündigte wegen des Corona-Demo-Verbots einen Misstrauensantrag an, den sich Nehammer "redlich verdient und hart erarbeitet" habe. Der Minister attestierte Kickl "gekränkte Eitelkeit und Frust".
"Angriff auf Versammlungsfreiheit"
Einberufen worden war die Sondersitzung von den Freiheitlichen. Anlass war, dass nicht nur die Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen untersagt worden waren sondern auch eine der FPÖ. Kickl sieht darin einen Angriff auf Versammlungs- und damit auch Meinungsfreiheit. Der Klubchef meint, dass die Regierung "Angst vor der Freiheit und Angst vor dem Volk" hat.
Die Organisatoren der Demonstrationen nahm Kickl in Schutz. "Friedliebende Kritiker" würden verunglimpft und die Polizei aufgehetzt: "Viele sehen diese Entwicklung als gefährlich an." Das Verbot sei ein "intellektueller, moralischer und demokratiepolitischer Offenbarungseid". Damit wolle die Regierung nur von ihrem Versagen ablenken. Als sinnlos wurden von Kickl unter anderem FFP2-Masken und die Art der PCR-Testung angeprangert sowie der Lockdown im Allgemeinen.
"Frust und Wut sind schlechte Ratgeber"
Nehammer sah diese Attacken der gekränkten Eitelkeit Kickls geschuldet, weil dieser aus dem Ministerium ausscheiden musste: "Frust und Wut sind auch schlechte Ratgeber in der Opposition."
Dass man die Demos untersagt hatte, begründete der Innenminister in erster Linie mit gesundheitlichen Erwägungen. Dass es dafür Druck seitens der EU, des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers gegeben habe, verneinte Nehammer.
Mehrfach wies der Ressortchef darauf hin, dass sich unter den Demonstranten Neonazis ebenso wie neue Rechtsradikale befunden hätten. Aus seiner Sicht wird die "unheilige Allianz" von Corona-Leugnern und der FPÖ auf dem Rücken jener anderen ausgetragen, die tatsächlich ihrer Sorge Ausdruck verleihen wollten.
Für die bedingungslose Versammlungsfreiheit sprach sich auch die restliche Opposition aus. Diese sei eines der am härtesten erkämpften Grundrechte, sagte der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried und: "Ja, ich bin der Meinung, Demonstrationen - auch in Pandemiezeiten - müssen stattfinden können." Aufgabe des Innenministers und Behörden sei es lediglich, die sicheren Bedingungen dafür zu schaffen. "Sie sind keine Regierung, die zusammenführt. Sie sind eine Regierung, die spaltet", konstatierte Leichtfried.
"Ein bisschen was von einer Therapiesitzung"
"Was wir hier erleben, hat ein bisschen was von einer Therapiesitzung", sprach wiederum Nikolaus Scherak von den NEOS die Tatsache an, dass ÖVP und FPÖ noch vor kurzem eine Regierung gebildet haben. Dieser "Bruderzwist" werde nun im Nationalrat aufgearbeitet. Auch Scherak sprach sich für die bedingungslose Versammlungsfreiheit - "so etwas wie die Mutter der Grundrechte" - aus, denn: "In einer pluralistischen Gesellschaft muss jeder das Recht haben, seine Meinung zu äußern." Dies bestimme nicht die ÖVP, sondern die Verfassung.
Den Misstrauensantrag der FPÖ wird Nehammer wohl ebenso überstehen wie jenen, den der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried am Vormittag ankündigt hat. Unterstützung der Grünen erhält der Ressortchef allerdings nicht auf der Regierungsbank. Die kleinere Oppositionspartei hat niemanden zur heutigen Sitzung entsandt, und das absichtlich, war im Vorfeld seitens der Grünen zu hören. Vor Ort unterstützt wurde der Innenminister dafür innerparteilich unter anderem von den Kanzleramtsministerinnen Karoline Edtstadler und Susanne Raab (ÖVP).