Die Koalition ist fürs erste nicht am Streit über die Abschiebung von drei Mädchen nach Georgien und Armenien zerbrochen. Die Grünen stimmten am Donnerstag im Nationalrat Anträgen der SPÖ und der Neos in dieser Angelegenheit trotz allen Ärgers über die ÖVP nicht zu. Auch Misstrauensanträge von Sozialdemokraten und Freiheitlichen gegen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) blieben in der Minderheit.
Seitens der Grünen tat sich vor allem der Abgeordnete David Stögmüller mit heftiger Kritik am Koalitionspartner vor. Er attestierte dem Innenminister "unmenschliche Kälte" wegen der Abschiebungen und warf ihm vor, um jeden Preis keine Menschlichkeit zu zeigen. Grundtenor seiner Fraktion war aber, dass die Zustimmung zu den Anträgen der Opposition nur politisches Spiel sei, man aber lieber politisch in der Regierung etwas für Flüchtlinge bewirken wolle, wie die Abgeordnete Bedrana Ribo argumentierte. Stillen Protest des Grünen Regierungsteams sollte das Fernbleiben von der Sitzung ausdrücken, womit es keine symbolische Unterstützung des Koalitionspartners auf der Regierungsbank gab.
Kommentar
Dabei war die Flüchtlingsthematik eigentlich gar nicht der Grund für die Sondersitzung, die von den Freiheitlichen einberufen worden war. Sie beschwerten sich über das Verbot der Demos gegen die Corona-Maßnahmen vom vergangenen Wochenende und nahmen deswegen den Innenminister ins Visier, der sich entsprechend zur Wehr setzte. Während FP-Klubchef Herbert Kickl meinte, der Ressortchef habe sich Misstrauen redlich verdient und hart erarbeitet, attestierte der Angesprochene seinem Vorgänger gekränkte Eitelkeit und Frust.
Kickl erkannte im Verbot der Demos einen Angriff auf Versammlungs- und damit auch Meinungsfreiheit. Die Organisatoren der Demonstrationen nahm Kickl in Schutz. "Friedliebende Kritiker" würden verunglimpft und die Polizei aufgehetzt. Das Verbot sei ein "intellektueller, moralischer und demokratiepolitischer Offenbarungseid".
Nehammer sah diese Attacken der gekränkten Eitelkeit Kickls geschuldet, weil dieser aus dem Ministerium ausscheiden habe müssen. Dass man die Demos untersagt hatte, begründete der Innenminister in erster Linie mit gesundheitlichen Erwägungen. Dass es dafür Druck seitens der EU, des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers gegeben habe, verneinte Nehammer. Mehrfach wies der Ressortchef darauf hin, dass sich unter den Demonstranten Neonazis ebenso wie neue Rechtsradikale befunden hätten.
Für die bedingungslose Versammlungsfreiheit sprach sich die Opposition aus. Diese sei eines der am härtesten erkämpften Grundrechte, sagte der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried und: "Ja, ich bin der Meinung, Demonstrationen - auch in Pandemiezeiten - müssen stattfinden können." "Was wir hier erleben, hat ein bisschen was von einer Therapiesitzung", spottet wiederum Nikolaus Scherak von den NEOS unter Hinweis darauf, dass ÖVP und FPÖ noch vor kurzem eine Regierung gebildet haben. Auch Scherak sprach sich für die bedingungslose Versammlungsfreiheit - "so etwas wie die Mutter der Grundrechte" - aus, denn: "In einer pluralistischen Gesellschaft muss jeder das Recht haben, seine Meinung zu äußern." Dies bestimme nicht die ÖVP, sondern die Verfassung.