In der Nacht auf Donnerstag löst ein Großaufgebot an Polizisten in Wien-Simmering eine spontane Versammlung auf. Rund 160 Personen hatten sich zusammengefunden, um gegen die Abschiebung von drei Schülerinnen aus Wien und Niederösterreich, die in Österreich aufgewachsen sind, zu protestieren. Wenig später sitzen die Mädchen und ihre Angehörigen in Fliegern nach Georgien und Armenien.
Die Empörung in sozialen Netzwerken ist groß, Grüne, SPÖ, Neos sowie Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigten sich schockiert über die Abschiebung. Das Innenministerium argumentiert mit höchstgerichtlichen Bescheiden, eine Außerlandesbringung sei durchzuführen gewesen. Die Familie eines Mädchens habe sich zudem vier Jahre lang unrechtmäßig im Land befunden und bereits 2012 einen negativen Asylbescheid erhalten. Die lange Aufenthaltsdauer im Land sei beharrlicher Nichteinhaltung behördlicher Anweisungen geschuldet.
Ablauf eines Asylverfahrens
Wie kann die Klärung eines Aufenthaltsrechts ein Schülerleben lang dauern? Um das zu verstehen, lohnt ein Blick darauf, wie Asylverfahren in Österreich grundsätzlich ablaufen. Jemand kommt ins Land, stellt bei der Polizei einen Asylantrag und wird von der Exekutive erstbefragt. Wurde bereits ein Verfahren in einem anderen EU-Staat eröffnet, wird die Person dorthin zurück überstellt. Sieht sich Österreich jedoch für den Fall zuständig, wird ein Asylverfahren eröffnet. Der Akt wird in erster Instanz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bearbeitet, das beim Innenministerium angesiedelt ist. Die Behörde überprüft dann, ob die angegebenen Gründe für die Flucht plausibel erscheinen und ob dem Antragsteller in seinem Herkunftsland Tod, Folter oder unmenschliche Behandlung drohen.
Wird der Antrag von der Asylbehörde abgelehnt, kann der Betroffene beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG), der nächsthöheren Instanz, Einspruch gegen den Bescheid erheben. Das Gericht prüft erneut und lädt den Betroffenen zur Befragung vor. Aktuell liegt dort übrigens noch immer ein beträchtlicher Teil beeinspruchter BFA-Bescheide zu Asylansuchen, die bereits in den „Flüchtlingsjahren“ 2015/2016 gestellt worden sind.
Wird einem solchen Einspruch dort eine Absage erteilt, bleibt noch der Gang zu den Höchstgerichten. Ist die Ablehnung irgendwann rechtskräftig, müssen die Personen, sofern sie kein anderes Aufenthaltsrecht haben, ausreisen.
Funk: "Lange Dauer hat mehrere Gründe"
Ein Ablauf, der in der Praxis aber viele Jahre in Anspruch nehmen kann, bestätigt auch der Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk. „Das hat mehrere Gründe. Um die rechtsstaatliche Qualität solcher Verfahren zu gewährleisten, muss zum einen genau geprüft werden, ob die Angaben der Person stimmen und sie ein Recht auf Schutz hat. Zum anderen legen die Betroffenen natürlich oft jede Menge Rechtsmittel ein, um ihre Möglichkeiten auszureizen. Auch das zieht das Verfahren zusätzlich in die Länge.“ Zudem ändere sich die Lage in den Herkunftsländern ständig, auch darauf müsse man reagieren.
Um die Dauer dieser Verfahren zu verkürzen, habe die Politik in den vergangenen Jahren einige Maßnahmen gesetzt, „um die Tür noch weiter zuzumachen“, wie es Funk formuliert. Schnellverfahren und die staatliche Organisation der Rechtsberatung für Asylsuchende durch die neue – noch unter Türkis-Blau gegründete – Asyl-Agentur nennt der Jurist hier als Beispiele. Diese genannte Agentur berät seit Anfang Jänner auch bezüglich einer freiwilligen Rückkehr in die Herkunftsländer.
Wer wie die Schülerinnen nicht freiwillig geht, wird „außer Landes gebracht“, wie man es im Innenministerium nennt. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Abschiebeflüge stetig erhöht, wie eine Anfragebeantwortung des Ministeriums zeigt. Fanden 2017 noch 1803 Abschiebungen auf dem Luftweg statt, waren es zwei Jahre später bereits 2673. Die deutlich geringere Zahl im letzten Jahr von 855 Abschiebungen bis November ist der Corona-Pandemie geschuldet.
Möglichkeit "humanitäres Aufenthaltsrecht"
Doch auch bei einer rechtskräftigen Verweigerung eines Aufenthaltsrechts gebe die aktuelle Rechtslage, im Gegensatz zur Darstellung des Innenministeriums, sehr wohl Spielraum für eine genauere Abwägung her, sagt Funk. „Mit politischem Willen könnte eine alte juristische Möglichkeit, die in den letzten Jahren gezielt reduziert worden ist, wieder aufgewertet werden – die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts.“
Die Idee dahinter: Fälle wie jener der nun abgeschobenen Schülerinnen sollen von einer sogenannten „Härtefallkommission“ geprüft werden. Wer sich gut integriert hat und seit Jahren hier lebt, dem könne nach so einer Prüfung humanitäres Bleiberecht gewährt werden. In der Praxis werde ein solches kaum mehr ausgesprochen.
Die rot-pinke Stadtregierung in Wien fordert indes ein Rückgängigmachen der gestern durchgeführten Abschiebung. Die Schülerinnen und ihre Angehörigen sollen wieder zurück ins Land geholt werden. Realistisch scheint das aber nicht zu sein. „So dürfen wir nicht anfangen“, erklärt ein Beamter im Innenministerium. „Dann können wir überhaupt keine Abschiebungen mehr durchführen.“