Das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) kommt nicht aus den Schlagzeilen. Dabei ist das genau jener Ort, wo ein Geheimdienst eigentlich gar nicht sichtbar werden sollte.
Es begann mit der Hausdurchsuchung, es gipfelte im Untersuchungsausschuss und es sollte eigentlich in eine Reform an Haupt und Gliedern münden. Doch mit der Reform zieht es sich, und jetzt kam das BVT erneut in die Schlagzeilen. Es liest sich wie eine Räubergeschichte: BVT-Mitarbeiter haben mutmaßlich für Russland spioniert, nebenberuflich für Wirecard gearbeitet und dessen Ex-Vorstand Jan Marsalek nach dem Zusammenbruch des Konzerns zur Flucht nach Weißrussland verholfen.
Fluchthilfe für Wirecard-Chef
Innenminister Karl Nehammer verharrte am Wochenende in Schockstarre. Der Minister ließ über eine Abgeordnete ausrichten, dass er darum „bestrebt“ sei, „alles aufzuklären“. Gestern legte er nach: „Die Causa Marsalek ist ein Kriminalfall, der seinesgleichen sucht. Die Ermittlungen laufen seit Monaten.“ Bundeskriminalamt und Bundesamt für Korruptionsbekämpfung hätten schon hervorragende Arbeit geleistet.
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Sichtbar geworden ist das BVT mit anderen Aktivitäten: Der ehemalige BVT-Abteilungsleiter M. W., früher für „Informationsbeschaffung und Ermittlung“ zuständig und Zeuge im Untersuchungsausschuss, soll gemeinsam mit dem früheren FPÖ-Abgeordneten Thomas Schellenbacher im vergangenen Sommer die Flucht von Jan Marsalek mit einem Privatjet von Bad Vöslau ins weißrussische Minsk orchestriert haben.
Service für Pornodienste
M. W. wird auch verdächtigt, Urheber des Konvoluts zu sein, das teils falsche Vorwürfe gegen eine Vielzahl von Beamten enthielt und unter FP-Minister Kickl Basis für die inzwischen als rechtswidrig beurteilte Razzia im Verfassungsschutz war. Und W. soll nebenberuflich für Wirecard gearbeitet haben, um die Zahlungsfähigkeit von Online-Pornodiensten zu überprüfen.
Ex-FPÖ-Politiker Thomas Schellenbacher wiederum, Kleinunternehmer aus dem niederösterreichischen St. Leonhard am Forst, ist schon zweimal unter eigenartigen Umständen aufgetaucht: Zuerst, indem er 2012 das traditionsreiche Hotel Panhans am Semmering an ukrainische Investoren weitervermittelte. Und später, weil er 2013 als politisch unbeschriebenes Blatt für die Freiheitlichen in den Nationalrat einzog, indem etliche Mandatare auf ihren Sitz verzichteten.
Ukrainische Millionenspritze
Wie Ermittler die Sache sehen: Schellenbachers ukrainische Kontakte sollen der FPÖ-Spitze Millionen Euro dafür geboten haben, dass er ein Mandat bekäme – ein Zusammenhang mit den rund um Ex-Parteichef Heinz-Christian Straches Spesenaffäre kursierenden Fotos von Geldtaschen in Straches Auto liegt nahe. Mit der Nationalratswahl 2017 verschwand Schellenbacher von der Bildfläche – um jetzt in der BVT-Causa wieder aufzutauchen. Schellenbacher sitzt wegen Tatbegehungsgefahr in U-Haft, ihm werden schwerer Betrug und betrügerische Krida vorgeworfen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen Schellenbacher sowie gegen den früheren BVT-Abteilungsleiter M. W. wegen Begünstigung. Marsalek wird seit dem Zusammenbruch des elektronischen Zahlungsdienstanbieters Wirecard in Deutschland gesucht. Auf die „Begünstigung“ von flüchtigen Kriminellen stehen bis zu zwei Jahre Haft. Der Anwalt Schellenbachers wendet ein, es habe damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek bestanden.
Gegen einen weiteren Ex-BVT-Mitarbeiter wird wegen Amtsmissbrauchs und Verrat von Staatsgeheimnissen ermittelt. Er ist aktuell der Sicherheitsakademie zugeteilt, wurde nun allerdings suspendiert.
"Totalschaden" und Reform
„Ich bin angetreten, den Verfassungsschutz neu aufzustellen und zu reformieren“, sagt Nehammer. Zu langsam geht das der Opposition. Der Schaden im Ansehen durch dieses „Sittenbild“ sei enorm, so SPÖ-Mandatar Kai Jan Krainer. SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner ortet einen „Totalschaden für den Verfassungsschutz“, da müsse man „neu bauen, nicht nur ein bissl reformieren“. Bei der Reform geht es um die Person des Chefs, um Amt und Personal sowie um den Faktor Zeit.
Die Personen
Als Frontfigur brauche es einen Menschen, der selber „Vorbild“ sei, formulierte Nehammer-Vorgänger Wolfgang Peschorn. Ex-BVT-Chef Gridling ist in Pension. Vor der Neubestellung soll die neue Organisation stehen. Klar ist für Einwallner und Krainer, was auch Peschorn diagnostizierte: Nebenbeschäftigungen von Geheimdienstlern darf es nicht geben – weder für Pornodienste, noch etwa für private Handy-Entschlüsselung, für die BVT-Software genützt werde. „Und die Parteipolitik muss raus aus dem Verfassungsschutz.“
Das Amt
Das Amt betreffend, wollen viele Nachrichtendienst und polizeiliche Arbeit trennen, wie auch in anderen Ländern üblich. Nehammer will zumindest ein gemeinsames Dach. Einwallner sagt, der „Totalschaden“ böte im Falle einer Trennung Gelegenheit, noch größer zu denken, ein „gesamtstaatliches Terrorismusabwehrzentrum“ zu installieren, „an dem alle Informationen zusammenlaufen“. Oder sogar ein „gesamtstaatliches Lagezentrum“, das auch Maßnahmen zur Sicherheit bei Naturkatastrophen oder Pandemien koordiniere.
Die Zeit
Seit Nehammers Amtsantritt sei jedenfalls nicht viel passiert. Außer Kickl kamen seit Gründung des BVT alle Innenminister von der ÖVP. Einwallner hat noch nicht den Eindruck gewonnen, „dass die ÖVP bereit ist, mit ihrer eigenen Vergangenheit im BVT zu brechen“.