Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gerät immer mehr in Verruf. Die jüngsten Enthüllungen wirken schier unglaublich: BVT-Mitarbeiter haben mutmaßlich für Russland spioniert, nebenberuflich für Wirecard gearbeitet und dessen Ex-Vorstand Jan Marsalek nach dem Zusammenbruch des Konzerns zur Flucht nach Weißrussland verholfen. Marsalek wird Bilanzfälschung in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro vorgeworfen.
Ebenfalls unter Verdacht steht ein früherer FP-Abgeordneter, Thomas Schellenbacher, dessen Mandat gekauft gewesen sein soll. Alle drei wurden vorige Woche festgenommen. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.
Leitartikel
Der ehemalige BVT-Abteilungsleiter M.W., früher für "Informationsbeschaffung und Ermittlung" zuständig und Zeuge im Untersuchungsausschuss, soll gemeinsam mit dem früheren FP-Abgeordneten Thomas Schellenbacher die Flucht von Jan Marsalek vergangenen Sommer mit einem Privatjet von Bad Vöslau ins weißrussische Minsk orchestriert haben. W. wurde nach seiner Einvernahme wieder auf freien Fuß gesetzt. Schellenbacher befindet sich in U-Haft, weil gegen ihn in einer anderen Causa eine Anklage anhängig ist und daher "Tatbegehungsgefahr" vermutet wird.
Schellenbachers Anwalt bestätigte auf APA-Anfrage zwar, dass er einen Flug für den flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek organisiert hat. Strafbar habe er sich damit aber nicht gemacht, weil damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek bestand. Anwalt Farid Rifaat will nun eine Haftbeschwerde einlegen. Ein weiterer mutmaßlicher Fluchthelfer wurde enthaftet.
Vorwurf der Begünstigung
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen Schellenbacher sowie gegen den früheren BVT-Abteilungsleiter M.W. wegen Begünstigung. Marsalek wird seit dem Zusammenbruch des elektronischen Zahlungsdienstanbieters Wirecard in Deutschland gesucht. Auf die "Begünstigung" von flüchtingen Kriminellen stehen bis zu zwei Jahre Haft.
Abteilungsleiter M.W. soll nebenberuflich für Wirecard gearbeitet haben, um die Zahlungsfähigkeit von Online-Pornodiensten zu überprüfen. Eine genehmigte Nebenbeschäftigung lag laut Innenministerium nicht vor.
Ab heute Suspendiert
Ein weiterer festgenommener früherer BVT-Mitarbeiter, gegen den wegen Amtsmissbrauchs und Verrat von Staatsgeheimnissen ermittelt wird, wird noch einvernommen. Der zweite Festgenommene - er ist aktuell der Sicherheitsakademie zugeteilt - wird nach Angaben einer Sprecherin am Montag vom Dienst suspendiert. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte in einer Aussendung "schonungslose Aufklärung" an: "Wir greifen konsequent durch und schaffen Schritt für Schritt durch die Aufklärung dieses Kriminalfalls einen sauberen Neustart für den Verfassungsschutz."
Die Untersuchungshaft gegen Schellenbacher hat ursächlich allerdings nichts mit den Wirecard-Ermittlungen zu tun. Gegen den früheren Abgeordneten liegt eine Betrugsanklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vor. Nachdem die neuerlichen Ermittlungen gegen Schellenbacher bekannt wurden, verhängte das Straflandesgericht Wien die Untersuchungshaft wegen Tatbegehungsgefahr.
Mehr als zehn Millionen Schaden
Laut "Kurier" wird Schellenbacher und zwei weiteren Personen schwerer Betrug, versuchter schwerer Betrug und betrügerische Krida angelastet. Es geht demnach um einen Schaden von mehr als zehn Millionen Euro. Zu den Geschädigten sollen die Asfinag, die Strabag, zwei namhafte Versicherungen und zumindest eine weitere Firma zählen.
Einen Prozesstermin in der Betrugscausa gibt es noch nicht. Schellenbachers Anwalt war auf APA-Anfrage vorerst nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
Marsalek V-Mann für BVT?
Der Grüne David Stögmüller verwies am Montag darauf, dass auch die Frage, ob Marsalek inoffiziell oder offiziell als V-Mann für das BVT gearbeitet habe, noch nicht restlos aufgeklärt sei. "Hier braucht es klare Fakten und auch eine Klärung, welche Daten vom BVT wann genau an Marsalek bzw. Wirecard geflossen sind", so Stögmüller in einer Aussendung.
"Problem der ÖVP"
Die FPÖ sieht in der Festnahme von ehemaligen Verfassungsschutz-Beamten in der Causa Wirecard weniger ihr Problem als jenes der ÖVP. Die beiden Männer seien keinen einzigen Tag im BVT beschäftigt gewesen, während Herbert Kickl Innenminister war, betonte der Abgeordnete Christian Hafenecker am Montag in einer Pressekonferenz. "Die Karrieren sind unter tiefschwarzer Führung entstanden", verwies er auf die Amtszeit von Wolfgang Sobotka und Johanna Mikl-Leitner.
Abermals stellte Hafenecker öffentlich die Frage, wie gut Sobotka - nunmehr Nationalratspräsident und Vorsitzender des Ibiza-Untersuchungsausschusses - den gesuchten Wirecard-Manager Jan Marsalek wirklich kennt. Er verwies auf ein Foto, das die beiden nebeneinander sitzend bei einem Empfang in Russland zeigt. "Fakt" ist für den Freiheitlichen jedenfalls: "Dort, wo es immer ein bisschen übler riecht, ist jemand von der ÖVP nicht weit weg."