Nur wenige Spitzenbeamte sind mit dem Innenleben der Republik so vertraut wie Wolfgang Peschorn. Seit 2006 steht er der Finanzprokuratur vor, die den Staat anwaltlich vertritt. Sie dient auch als Anlaufstelle für Bürger, die zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bund geltend machen. Die Prokuratur ist also keine Schönwetterbehörde, sondern wird aktiv, wenn der Staat im Umgang mit den Bürgern versagt.
Drei Tage vor dem ersten Lockdown, am Freitag, den 13. März, hatten sich die Spitzenbeamten der Republik zu einer Krisensitzung versammelt. Peschorn warf nach Informationen der Kleinen Zeitung eine Idee in den Raum, die er als Innenminister der Bierlein-Beamtenregierung bereits ins Spiel gebracht hatte: dass in Ausnahmezeiten – etwa bei einem Terrorakt, der Explosion eines AKWs in unserer Nachbarschaft, beim Flüchtlingsansturm, bei einer Pandemie –Notstandsbestimmungen in Kraft treten, die das Regieren erleichtern.
Ziel eines solches „Bundeskrisenbewältigungsgesetzes“ wäre nicht die Schwächung oder Entmachtung des Parlaments, sondern die Schaffung einer starken, schlagkräftigen Zentralregierung mit weitreichenderen Kompetenzen als in Normalzeiten gewesen. Deutschland und andere westliche Länder haben solche Bestimmungen längst in ihrer Verfassung.
Wie vorgestrig der Staat organisiert ist, zeigte die Flüchtlingskrise. Als im September 2015 Tausende Flüchtlinge in Bussen durch Österreich nach Deutschland geschleust werden sollten, war der Bund handlungsunfähig. Die Anmietung von Bussen hätte europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die Lösung: Die Busse wurden vom Roten Kreuz angemietet.
Aktuelles Beispiel: Trotz Corona ist es dem Gesundheitsministerium untersagt, in großem Stil Schutzkleidung anzukaufen und einzulagern. Der Bund darf nur für die nächste Pandemie vorsorgen, aktuell dürfen es nur die Länder machen.
Dass Impfwillige über 80, die nicht in Heimen wohnen, von Pontius zu Pilatus geschickt werden, der Zugang zu Antigen-Tests davon abhängig ist, in welchem Bezirk man wohnt, Heime immer noch viele Tote zu beklagen haben, FFP-2-Masken erst nach sechs Wochen den Adressaten finden, an den Grenzen nur sporadisch kontrolliert wird, liegt nicht nur an Fehlentscheidungen der Regierung und türkis-grünen Rivalitäten, sondern am beispiellosen, föderalen Kompetenzdschungel. Für Personenkontrollen an Grenzen ist das Innenministerium zuständig, für die Corona-Kontrolle die ausgedünnten Bezirkshauptmannschaften. Österreich ist ein in Normalzeiten bestens verwaltetes Land, das aber nicht für Krisenzeiten gerüstet ist.
„Geht nicht, können wir nicht, dürfen wir nicht“, lautet nach Angaben eines Augenzeugen die Reaktion der Spitzenbeamten auf den Peschorn-Vorstoß über ein spezielles Pandemiegesetz. Ex-Rechnungshofpräsident Franz Fiedler würde eine Debatte über so einen Passus in der Verfassung ausdrücklich begrüßen, wenn Corona vorbei ist. „Es muss in Krisenzeiten eine Lenkung aus einer Hand geben, nicht aus zehn Händen (Bund und neun Länder)“, so Fiedler, der sich allerdings skeptisch zeigt, ob die Länder bereit wären, selbst in eng definierten Notzeiten Macht an eine starke Zentralregierung abzugeben.