Das war die eigentliche Überraschung am Sonntag. Dass der Lockdown in die Verlängerung gehen würde, Schulen, Geschäfte, Friseure – anders als vom Kanzler zuvor noch erhofft – nicht aufsperren werden, war zu erwarten gewesen. Dass Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober mit dem steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig vor die Kameras treten und im selben Atemzug das „virologische Quartett“ in Pension geschickt wird, damit hatte niemand gerechnet.
Eine Schlüsselrolle in der Neuaufstellung spielte Hermann Schützenhöfer, einer der letzten Großkoalitionäre im Land und ein ausgewiesener Schwarzer, der mit dem Türkisen bisweilen fremdelt. Als neuer Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz stattete er nach Neujahr dem Kanzler einen Besuch ab. Zur Sprache kam auch das Unbehagen aller Landeshauptleute, nicht nur der roten, an der Kommunikation des Kanzlers. Die Landeschefs würden oft spät informiert, erführen manches erst aus den Medien, würden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Und so wurde vereinbart, dass die LHs diesmal nicht wieder virtuell mit Kurz konferieren, sondern man sich von Angesicht zu Angesicht trifft. Dreimal kamen die Landeschefs mit dem Kanzler innerhalb von 24 Stunden zusammen, einmal virtuell unter Einbindung der Virologen, die der Runde den Ernst der Lage eindringlich schilderten. Spätestens nach der Inforunde waren alle neun Landeshauptleute bei den Maßnahmen mit an Bord.
Schützenhöfer: "Ja, aber nur mit Ludwig"
Samstag spätabends klopfte Kurz bei Schützenhöfer an, ob er denn nicht an der Pressekonferenz teilnehmen wolle, um den türkis-schwarz-grün- roten Schulterschluss öffentlich zu dokumentieren.Schützenhöfer willigte ein, knüpfte sein Ja an den ausdrücklichen Wunsch, dass auch der Wiener Bürgermeister eingeladen werde. Für den SPÖ-Politiker kein leichter Gang. Ludwig erbat sich Bedenkzeit, telefonierte mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und den anderen roten Landeshauptleuten – und willigte ein. Er sei zum öffentlichen Schulterschluss bereit, wenn man auch in Zukunft eingebunden werde. Schützenhöfer präsentierte sich als Gewährsmann und versicherte, dass dies keine Eintagsfliege bleibe.
Der großkoalitionäre Schulterschluss klang, nachdem die Livekameras abgedreht waren, in einem Nebenzimmer des Kanzleramts aus. Der Kanzler, der Eisbrecher aus Graz und der Wiener Bürgermeister stießen auf die geglückte neue Harmonielehre an. Der beste Tropfen war für den besonderen Moment gut genug: Grüner Veltliner Federspiel Stein am Rain vom Weingut Jamek, „würzig, pfeffrig und mit guter Frucht“.
Die Regierung benötigte die SPÖ als Mehrheitsbeschafferin bei der Teststrategie
Dass Michael Ludwig über den eigenen Schatten springen musste, zeigt das aufsehenerregende Interview mit dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ), das wenige Stunden vor der Pressekonferenz in der „Kronen Zeitung“ erschien. Darin warf der gewichtige SPÖ-Politiker dem Kanzler vor, bei Corona „auf hysterisch zu machen“. Die Aversion der Wiener SPÖ gegen die Türkisen sitzt tief – und beruht übrigens auf Gegenseitigkeit.
"Ich halte es für eine richtige, überfällige Entscheidung, dass diese gewaltige Krise nur gemeinsam gelöst wird und auch die konstruktiven Kräfte der Opposition eingebunden werden“, interpretiert Politikberater Thomas Hofer die Neuaufstellung. Deutlich verbessert hat sich die Gesprächsbasis mit SPÖ-Chefin Rendi-Wagner. Dieses Tauwetter ist auch politischen Notwendigkeiten geschuldet – Türkis-Grün benötigte die SPÖ als Mehrheitsbeschafferin bei der Teststrategie.
Doch der Schulterschluss zeigt Risse, die burgenländische SPÖ geht eigene Wege. Im National- und im Bundesrat stimmten die Burgenländer gegen den türkis-grün-roten Deal – somit gegen die Parteilinie.