Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist auf den Kanzler nicht gut zu sprechen. Im März hatten die Neos – wie auch SPÖ und FPÖ – dem harten Lockdown zugestimmt. Diese Einmütigkeit zerbröselte spätestens im Sommer. Seit Mitte November herrschte Funkstille zwischen Sebastian Kurz und der Neos-Chefin. Was Meinl-Reisinger im Herbst so auf die Palme gebracht hat? „Das waren keine Dialog-, sondern reine Informationsrunden“, verweist die Neos-Chefin an diverse Video-Konferenzen. „Einmal verließ Kurz die Sitzung nach wenigen Minuten und ließ uns mit Kogler und Anschober zurück, um sich auf die Pressekonferenz vorzubereiten.“ Gestern durchbrach Meinl-Reisinger die Funkstille und rief den Kanzler einfach an. Zur SPÖ hat sich das Verhältnis etwas entkrampft – wohl auch, weil Türkis-Grün die SPÖ für die Mehrheit beim Reintesten im Bundesrat benötigte. Kürzlich traf Kurz SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zum Vieraugengespräch.
Bei den Landeshauptleuten gab es zuletzt eine wundersame Wendung. In den letzten Monaten wurden die Landeschefs oft erst fünf Minuten vor zwölf von der Regierungsspitze über Lockdowns oder Lockerungen informiert. Freitagabend konferierte man vier Stunden im Palais Niederösterreich – von Angesicht zu Angesicht. Was die Regierung zu dem bemerkenswerten Schwenk bewogen hat? Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser dazu: „Das ist der Dramatik der Lage geschuldet.“
Rückhalt der Bevölkerung bröckelt
Der Regierung sitzen nicht nur die Mutationen, sondern auch die Bevölkerung, die immer weniger bereit ist, die Maßnahmen mitzutragen, im Nacken. Die Politik steckt im Dilemma: Die Neuinfektionen sind derzeit weit von den Rekordzahlen im November (9000 Fälle) entfernt, in den Intensivstationen hat sich die Lage entspannt. Alle Zeichen stünden auf ein Ende des Lockdowns, doch die Mutation macht alle Pläne zunichte. Die Regierung hatte gehofft, durch die Wiederöffnung von Schulen, Geschäften, Friseuren Dampf abzulassen.
Im Frühjahr hatte die Regierung souverän die Krise gemeistert, ein Vergleich mit anderen EU-Staaten zeigt dies auch. Seit Herbst ist vieles schiefgelaufen. Das Versagen in Alten- und Pflegeheimen, der dramatische Anstieg der Todeszahlen, der Zickzackkurs beim Lockdown und den Schulen, das Chaos bei den Tests und den Impfungen hat das Vertrauen in das Krisenmanagement der Regierung nachhaltig erschüttert.