Angesichts der Virusmutation raten Experten, soziale Kontakte noch einmal massiv zu reduzieren, um die Sieben-Tage-Inzidenz auf 25 zu senken. Wir stehen derzeit bei 149. Kann ab 25. Jänner tatsächlich wieder Unterricht in den Schulen stattfinden?
HEINZ FASSMANN: Wir sollten die Debatte nicht auf einen Wert reduzieren. Wir müssen bei der Entscheidung auch schauen, wie die Auslastungen der medizinischen Abteilungen und wie groß die Rückführbarkeit der Infektionsfälle ist.
Nach dem Hin und Her beim Präsenzunterricht gibt es in der Eltern- und Lehrerschaft ein großes Bedürfnis nach nachvollziehbaren Kriterien.
Das kann ich gut verstehen. Meine Antwort darauf ist: Wir müssen eine virusrobuste Schule installieren. Es ist eine Illusion zu glauben, wir kommen in Kürze auf eine Sieben-Tage-Inzidenz von 25 oder noch weniger. Das würde eine lange Zeit einer intensiven Nicht-Kontaktaufnahme der Menschen untereinander erfordern. Das halte ich nicht für realistisch. Wir haben es hier nicht mit Modellen zu tun, sondern mit Gesellschaften und Menschen, die legitime Bedürfnisse haben. Das ist immer eine schwierige Abwägung, die man aber nicht an einem oder zwei numerischen Parametern festmachen kann.
Wer entscheidet letztendlich, wie es weitergeht?
Das ist eine Entscheidung der Regierungsspitze, insbesondere des Bundeskanzlers, basierend auf den Vorschlägen aus den jeweiligen Fachministerien. Schulen haben für uns ganz klar Priorität.
In England und Frankreich haben Kinder mittlerweile die höchste Positivrate bei Tests. Studien belegen, dass geschlossene Schulen die Mobilität der Bevölkerung um mehr als 20 Prozent reduzieren. Wird die Öffnung der Schulen das Infektionsgeschehen wieder explodieren lassen?
Meines Erachtens nicht, sonst würde ich es auch nicht propagieren. Es kann schon Infektionen geben, aber wir haben mit Masken, Tests und weniger Schülern in der Klasse entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
Wie genau der Unterricht in ausgedünnten Klassen ablaufen soll, wissen momentan weder Lehrer noch Schüler. Die genauen Modalitäten werden mit den Bildungsdirektionen ausverhandelt. Wieso erst jetzt?
Weil wir in so einer volatilen Situation immer auf eine ganz bestimmte Lage reagieren müssen. Vor einigen Monaten hat noch niemand von Mutationen gesprochen, die ansteckender sind. Darauf müssen wir jetzt reagieren. Konzepte aus der Schublade einfach zu übertragen, wird der jeweiligen Problemsituation nicht gerecht. Die Situation ist heute anders als im April 2020.
Viele Eltern ärgert es, dass im Lockdown die Schulen zu sind, Skilifte aber offen. Sie auch?
Die Bilder waren ausgesprochen abträglich, weil sie vermeintlich gezeigt haben, dass uns Skifahren wichtiger als Bildung ist. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun: Es hilft der Schule nichts, wenn es keine Skifahrer gäbe.
Fast alles steht in der Pandemie zur Disposition, nur nicht die Ferienordnung. Warum?
Distance Learning ist für die Schüler, Eltern und Lehrer eine anstrengende Zeit und kein Urlaub. Deswegen sollen Ferien stattfinden. Alle benötigen die Erholung nach diesem anstrengenden Semester. Für jene, die zu Hause über keine optimalen Lernbedingungen verfügen, wird es als Förderprogramm zusätzliche Stunden im Volumen von rund 200 Millionen Euro geben. Das ist die richtige Antwort auf die Lerndefizite.
Bald gibt es Semesterzeugnisse, sehr aussagekräftig werden sie nicht sein. Warum wird im Ausnahmezustand nicht auf die Benotung verzichtet?
Weil Schülerinnen und Schüler ein Recht auf Feedback haben, was sie im Distance Learning geleistet haben. Die Schulnachricht ist eine wichtige Rückmeldung für sie.
Sollte das ganze Schuljahr wiederholt werden?
Nein, das wäre übertrieben. Dieses Schuljahr ist eine anstrengende Zeit, aber keine verlorene. Schüler haben viel gelernt, wenn auch nicht immer stoffbezogen. Sie wissen jetzt: Was bedeutet Solidarität? Welche Bedeutung haben Peer Groups für mich? Wie gehe ich mit belastenden Situationen um? Das trägt unglaublich zur Persönlichkeitsentwicklung bei.
Beurteilt wird am Ende aber der Lernstoff. Sollte man das Sitzenbleiben in dem Jahr auslassen?
Nein, Schüler brauchen auch Anreize, um am Distance Learning teilzunehmen. Ich ermuntere aber Pädagogen bei der Leistungsbeurteilung zu Milde, Toleranz und Berücksichtigung der schwierigen Zeit.
Regelmäßige Tests sollen sichere Schulen schaffen. Für Schüler sind die aber freiwillig. Wird es konsequenzenlos bleiben können, wenn Eltern sich weigern, ihre Kinder zu testen?
Ich glaube, dass es hier ein hohes Ausmaß an solidarischem Handeln gibt. Wir lassen diese Testphasen auch wissenschaftlich von der Universität Graz begleiten. Wenn es zu einer signifikanten Testverweigerung kommt, müssen wir etwas anderes überlegen.
Lehrer und auch Elementarpädagoginnen werden künftig verpflichtend getestet. Das Lehrpersonal an Unis und Studierende nicht.
(überlegt) Ja, da haben Sie recht.
Wurden sie vergessen?
Nein. Aber eine Professorin trifft Studenten aus größerer Distanz als eine Elementarpädagogin. Manche Universitäten führen die Tests im Rahmen ihrer Autonomie durch.
Wie wird das Sommersemester aussehen?
Bei den Universitäten und Schulen rechne ich mit einer zunehmenden Normalisierung, wenn wir die Risikogruppe durch die Impfung geschützt haben.
Wird das Sicherheitsnetz aus ausgedünnten Klassen, Testen und Hygiene halten oder müssen sich Eltern und Kinder auf einen neuerlichen Schullockdown in den nächsten Monaten einstellen?
Das hängt wirklich vom Infektionsgeschehen ab. Hoffnung geben mir aber die Impfung und die neuen niederschwelligen Testmöglichkeiten.
Veronika Dolna