Sie sind von der Wissenschaft in die Politik gewechselt. Werden wir schonungslose Analysen aus Ihrem Mund jetzt nicht mehr hören?
Martin KOCHER: Na ja, die waren auch bisher nicht schonungslos. Es gibt nicht die reine Lehre. Der Experte hat den Vorteil, dass er sich kein Werturteil leisten muss. Die Analyse ist nur der erste Schritt. Der zweite Schritt wird sicher schwieriger für mich, denn ich bin es nicht gewohnt, politische Mehrheiten zu suchen.
Sie müssen auf politische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Müssen Sie sich da in neuer Zurückhaltung üben?
Auch als Experte sollte man sich, wenn man ein Institut leitet, in Zurückhaltung üben. Das spielt jetzt eine noch stärkere Rolle, das sollte mich nicht bei der Analyse einschränken. Der Vorteil beim Thema Arbeitsmarkt ist allerdings, dass bei der Analyse und beim Ziel, nämlich Vollbeschäftigung, Konsens herrscht. Die Ideologie, die sonst eine Rolle spielt, steht nicht so im Vordergrund.
Sonja Hammerschmid, die ehemalige Rektorin der Veterinär-Uni, kam auch aus der Wissenschaft. Für sie war die Parteilogik die größte Herausforderung.
Da habe ich einen Vorteil. Beim Arbeitsmarkt herrscht große Einigkeit. Noch dazu habe ich in einem Umfeld gearbeitet, das sehr politiknahe war. Ich weiß, wie politische Prozesse ablaufen, aber natürlich gibt es für mich noch viel zu lernen.
Haben Sie sich eine gewisse Unabhängigkeit ausgehandelt? Werden Sie der ÖVP beitreten?
Wir haben natürlich über die Rahmenbedingungen gesprochen. Es war gerade der Wunsch des Kanzlers, dass ich meine Expertise einbringe. Es war nie von einer ÖVP-Mitgliedschaft die Rede. Das bleibt mir vorbehalten.
Wären Sie nicht lieber Superminister geworden, verantwortlich für Arbeit, Wirtschaft, Finanzen?
Nein, ich werde mich stark auf den Arbeitsmarkt konzentrieren. Es wird natürlich Gespräche zwischen den genannten Ministerien geben, um gemeinsam einen Plan zu entwickeln, um aus der Krise rauszukommen. Ich bin ehrlich gesagt sehr froh, dass ich mich auf einen Bereich konzentrieren kann, der noch handhabbar ist – als Rookie im Team. Ein Superministerium hätte ich mir nicht zugetraut, dazu bräuchte man politische Erfahrung. Man muss nur nach Deutschland schauen, um zu sehen, wie schwer sich Superminister Wolfgang Clement getan hat.
Wären Sie in die Regierung gegangen, wenn Kurz mit der FPÖ koaliert hätte?
Ich weiß es nicht. Die jetzige Konstellation fällt mir leichter.
Sie wollen jetzt bald ein Homeoffice-Gesetz präsentieren. Peilen Sie eine permanente Regelung an, etwa für Menschen mit Kindern?
Solange zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Einigkeit herrscht, kann man über verschiedene Modelle diskutieren. Die große Frage wird sein, wer Anspruch darauf hat, wer die Kosten übernimmt, was steuerlich absetzbar ist, was der Unternehmer, was der Arbeitnehmer leisten muss.
Wären zwei, drei Tage Homeoffice pro Woche nicht auch ökologisch sehr sinnvoll?
Homeoffice ist nicht überall möglich, aber ich glaube, es wird zur neuen Normalität werden, dass die Leute einige Tage im Office und die anderen im Homeoffice sitzen. Auch Unternehmen haben ein Interesse daran. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll. Studien besagen, dass das Pendeln stark das Wohlbefinden beeinträchtigt. Leute, die mehr pendeln, sind unglücklicher, egal, ob sie öffentlich unterwegs sind oder mit dem Auto im Stau stehen.
Viele Unternehmer suchen händeringend Beschäftigte, finden aber niemanden. Da heißt es, schuld sei die Kurzarbeit, die eine Komfortzone sei.
Es stimmt, dass die Kurzarbeit die Struktur am Arbeitsmarkt konserviert und dazu geführt hat, dass Menschen nicht wechseln. Das ist auch verständlich, denn das Ziel ist, dass die Leute in der Beschäftigung bleiben. Wegen der Knappheit in gewissen Segmenten des Arbeitsmarktes und der hohen Arbeitslosigkeit muss die Kurzarbeit, wenn die Gesundheitskrise bewältigt ist, in der jetzigen Form zu Ende gehen. Wann das genau ist, wissen wir nicht. Kurzarbeit in der Breitflächigkeit ist keine Dauerlösung.
Die Regelung läuft im März aus, die Pandemie ist dann vorbei?
Wir werden sehen, wie schnell es mit den Impfungen vorangeht, wie sich die Infektionszahlen entwickeln, aber natürlich müssen wir uns auf eine Verlängerung vorbereiten. Wie sie im Detail aussieht, wird sehr stark von den Öffnungsschritten, den Infektionszahlen, der Mutation abhängig sein.
Wie lange kann sich der Staat das noch leisten?
Wir müssen uns das leisten, denn die Alternative ist die Arbeitslosigkeit. Diese ist noch kostspieliger und hat langfristig noch negativere Folgen. Im Moment gibt es keine Alternative.
Auch nicht zur milliardenschweren Finanzspritze für Unternehmen?
Wäre man zurückhaltend geblieben und hätte man den Betrieben nicht die Liquidität bereitgestellt, dann hätten wir nicht nur eine Massenarbeitslosigkeit, sondern auch ein Unternehmenssterben gehabt. Das hätte viel wirtschaftliche Infrastruktur zerstört. Da ist es besser, Strukturen mit den Hilfen zu konservieren, einzufrieren.
Rechnen Sie mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, wenn die Kurzarbeit beendet ist?
Ich bin optimistisch, dass es nur wenige betrifft. 94,5 Prozent der Leute, die im April in Kurzarbeit gekommen sind, waren im Herbst immer noch beschäftigt. Wenn die Unternehmen glauben, dass es später nicht besser wird, hätten sie die Leute nicht zur Kurzarbeit angemeldet.
Auch angesichts der Insolvenzfälle?
Auch da hoffe ich, dass es keine große Welle geben wird. Es wird einen Nachholeffekt geben. Da geht es um Stundungen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, es darf keinen Kippeffekt geben, aber das ist nicht mein Ressort.
In Österreich sind die Lohnnebenkosten besonders hoch. Sollten diese durch eine C02-Abgabe ersetzt werden?
Unsere Steuerstruktur ist nicht optimal, die Steuerbelastung insgesamt zu hoch, wir sind einer der Spitzenreiter in Europa. Möchte man aus Gründen des Klimaschutzes die Bepreisung von CO2 einführen, sollen anderswo Steuern gesenkt werden.
Sie waren bisher immer für eine C02-Bepreisung?
Die Regierung hat sich zum Pariser Klimaabkommen bekannt, das sehr ambitioniert ist. Die Frage ist, wie man dorthin kommt. Es gibt kein Allheilmittel. Wir brauchen einen Mix an Maßnahmen. Es sollten Dinge, die zu stark gefördert werden und klimaschädlich sind, zurückgefahren werden. Der letzte Punkt ist die Bepreisung des CO2-Ausstoßes. Wir haben das Problem, dass der Rückgang der Emissionen nicht stark genug ist, weil die privaten Haushalte durch ihr Mobilitäts- und Bauverhalten nicht genug Reduktion zustande bringen. Es muss eine Veränderung im Verhalten geben, was ich konsumiere, welches Auto ich kaufe.
Haben die Grünen mit Ihnen einen neuen Bündnispartner?
Ich weiß nicht, ob die Grünen so glücklich mit der CO2-Bepreisung sind, diese belastet die Geringverdiener stärker.
Sie wollen sich zur Migration nicht zu Wort melden, weil das nicht Ihr Ressort ist. Was halten Sie von der Abschiebung von Lehrlingen mit negativem Verfahren?
Wer in Österreich integriert werden soll, muss rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Das gilt auch für Asylberechtigte, im Unterschied zu Asylwerbern. Man muss Migration und Asyl streng voneinander trennen. Wir haben immer eine hochideologisierte Diskussion, man muss pragmatischer sein. Wir werden weiterhin Zuwanderer brauchen, etwa im Bereich der Pflege oder IT. Wenn wir nicht attraktiv sind, haben wir ein Problem.
Sie laufen Marathon und denken langfristig. Wollen Sie komplett in die Politik wechseln?
Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Das Ziel ist die laufende Legislaturperiode, aber man weiß, wie schnell sich die Dinge in der Politik ändern können. Wir haben mit Alexander Van der Bellen jemanden, der nach seinem politischen Engagement als Chef der Grünen wieder in die Wissenschaft zurückgekehrt ist.
Das heißt nicht, dass Sie eines Tages Bundespräsident werden wollen?
Nein, bitte interpretieren Sie mich nicht falsch.