In seinem Roman „Die Kapuzinergruft“ beschreibt Joseph Roth den Zeitenumbruch des Jahres 1938. Während die Nationalsozialisten die Macht in Österreich an sich reißen, geht Baron Trotta in die Kapuzinergruft und fragt: „Wohin soll ich jetzt, ich, ein Trotta?“ Fragen Sie sich hin und wieder, wo ein Habsburger, dessen Familie mehr als 600 Jahre als Erzherzöge und Kaiser dieses Österreich prägten, in einem durch und durch republikanischen Staat seinen Platz finden soll?
KARL HABSBURG: Es ist zunächst einmal so, dass die Familie ja nicht eine kleine Familie, sondern ein großer Clan ist, zwischen 500 und 600 Personen ...
... beachtlich, bedenkt man, dass die Habsburger in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vom Aussterben bedroht waren und Maria Theresia die Dynastie gerade noch rettete ...
Daran denke ich immer, wenn ich durch die Kapuzinergruft durchgehe und am Sarkophag von Maria Theresia vorbeikomme. Unsere Familiengeschichte hat die Form der Eieruhr, ein Endpunkt in der Mitte, an dem nur noch eine Person übrig geblieben ist, und danach wieder die Erweiterung. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs brach für uns die Exilzeit an, Habsburger verliefen sich in die Teile der Welt, der gemeinsame Namen ist eine feste Klammer. Wir haben ein Bewusstsein dafür entwickelt, was wichtig ist, dass man aus der Geschichte viel lernen und in unsere Zeit übertragen kann. Mein Vater verwendete immer wieder den Satz „Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht, und weiß nicht, wo er ist.“ Und man muss eine Positionsbestimmung vornehmen, das kann man nur in Kenntnis der Geschichte – da kann unsere Familie heute noch eine Rolle spielen, als Anwälte der geschichtlichen Dimension, um Österreich und Mitteleuropa entsprechend definieren zu können.
Wir spazieren durch die Innenstadt von Graz, der alten habsburgischen Residenzstadt von Innerösterreich, zu dem die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain sowie die Küstengebiete der Oberen Adria gehörten. Die Spuren Ihrer Familie prägen noch immer den Stadtkern, wie hier der Erzherzog-Johann-Brunnen auf dem Hauptplatz. Erzherzog Johann schuf mit der Gründung höherer Schulen, Forschungsstätten und der Stärkung der Landwirtschaft etc. Zukunft und brach mit der Tradition ...
Ja, der Erzherzog Johann war einer der Aktivsten unserer Familie. Ihm hat Innovation mehr bedeutet als etwa Disziplin, die dann Kaiser Franz Joseph wichtig war. Doch aus der heutigen Zeit lässt sich einiges leichter beurteilen.
Ein paar Schritte weiter steht das Palais Khuenburg, in dem der spätere Thronfolger Franz Ferdinand geboren wurde, dessen Ermordung den Ersten Weltkrieg und das Ende des Kaiserreichs nach sich zog. Wie fühlt man sich als Nachfahre dieser Persönlichkeiten der Weltgeschichte?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil ich nie jemand anderer war. Ich bin aufgewachsen mit dem Gefühl und dem Bezug, den man zu diesen Persönlichkeiten hat.
Die Republik Österreich pflegte über Jahrzehnte eine spannungsgeladene Beziehung zum einstigen Kaiserhaus. Noch in den 60er-Jahren löste die Einreise Ihres Vaters, Otto Habsburg, eine innenpolitische Krise aus. Sie selbst waren von 1996 bis 1999 dann auf einem Mandat der ÖVP Abgeordneter im EU-Parlament. Wie haben denn Sie sich mittlerweile in der Republik positioniert?
Ich habe einen zentralen Punkt, der meine ganze Tätigkeit umfasst. Das ist der Begriff der Identität und des Identitäterhalts. Ich glaube, dass wir unglaublich an Identität verlieren. So wie eine Krise von der nächsten verdrängt wird, so werden bei uns auch Elemente der Identität ständig verdrängt. Um die Identität zu erhalten, muss man sich das historische Verständnis erhalten wie auch das Verständnis für die eigene und andere Sprachen sowie für die Religionen, die unser Mitteleuropa prägten. Der Begriff Identitätserhalt prägt auch wesentlich mein Engagement für Blue Shield, eine internationale Organisation der Unesco zum Schutz von Kulturgütern bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Da versuche ich den Konfliktparteien klarzumachen, dass es beim Erhalt von Kulturobjekten auch um den Erhalt der eigenen Identität geht.
Wie schaut es mit diesem Identitätserhalt in der eigenen Familie aus? Verstehen sich Ihre zwei Töchter und Ihr Sohn in dieser Tradition einer Großfamilie, deren Oberhaupt Sie seit neun Jahren sind?
Ich versuche, ihnen Geschichte beizubringen, indem man sie Dinge miterleben lässt. Wie meine Eltern Geschichte in den Kontext mit Geografie und Religion stellten, ein Wertegerüst zeigten, so versuche auch ich, meinen Kindern dieses Dreigestirn beizubringen. Mein 23-jähriger Sohn Ferdinand übernimmt schon Vertretungsaufgaben für die Familie.
Unser Spaziergang endet hier an einem Punkt, der für Ihre Familie der Beginn einer Großmacht war: die Burg, wo Friedrich III., der Vater von Kaiser Maximilian, dem letzten Ritter, regierte. Er hinterließ das rätselhafte, auch hier eingravierte AEIOU. Manche deuten es als Abkürzung von „Alles Erdreich ist Österreich untertan“ oder „Austriae est imperare orbi universo“ (Es ist Österreich bestimmt, die Welt zu beherrschen) – ein nationalistischer Zugang eines Habsburgers?
Ich sehe den Begriff Österreich nicht immer als staatlichen Begriff, sondern als Idee, als Wertegerüst, das mehr ist als ein abgegrenzter Raum.
Würden Sie auch den Begriff Habsburger als mehr sehen als einen Familiennamen?
Es ist etwas Übernationales. Ich bin ein Österreicher, aber ich fühle europäisch.