"Das Drama des begabten Kindes“ - so heißt ein 40 Jahre altes, längst klassisches Buch der Psychoanalytikerin Alice Miller. Verfolgt man den Lebensweg von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, fühlt man sich an manche Zeile aus dem Werk erinnert. Und das nicht nur, weil der Titel so verdächtig gut als eingängiger Bezugspunkt passt. Oder weil es darin um Narzissmus geht. Sondern etwa auch deshalb, weil die Autorin postuliert, dass moralisierende Wertungen ihre Selbstverständlichkeit verlieren, wenn man ihre Ursprünge erforscht.
Begabt ist Grasser allemal - so begabt, dass er gar nicht anders konnte, als schon früh aufzufallen. Er geriet ins Gesichtsfeld von Jörg Haider, damals aufstrebender FPÖ-Chef, der seine Dienstkarossen aus dem Autohaus von Grassers Eltern bezog. Bald griff auch das Schicksal ins Lenkrad: Kaum hatte Grasser 1992 sein Wirtschaftsstudium in Klagenfurt beendet, fand er sich als gerade 24 Jahre alter Generalsekretär der FPÖ wieder.
Schnelle Karriere
Es kann sein, dass der Berufseinsteiger damals wie viele junge Menschen dem Irrtum aufsaß, sein Erfolg sei ausschließliche Folge von Talent und Tüchtigkeit. Dass schnelle Karrieren vor allem aus Loyalität und Geschmeidigkeit entspringen, erfährt man erst später im Leben, zumal solches ja in keinem Stelleninserat steht.
Grasser jedenfalls geriet an Haider und damit in schlechte Gesellschaft, wie man herkömmlich sagt. Zwar war der FPÖ-Chef damals ein noch weitgehend unbefleckter, jedenfalls aufgehender Polit-Stern und ein Mentor, von dem man das Handwerk von Machtkampf und Machterhalt fabelhaft lernen konnte. Doch als moralische Leitfigur taugte er nicht.
Die Buberlpartie
Rund um Haider nahm nämlich eine fragwürdige Gruppendynamik ihren Lauf: Das Übermaß an Feindschaft, das der Kärntner Landeshauptmann mit seinem unbotmäßigen Auftreten inner- und außerparteilich hervorrief, kompensierte er, indem er sich mit einem Huldigungscluster umgab. In dieser Adoranten-Gruppe zur Selbstvergewisserung, die bald landauf, landab „Buberlpartie“ hieß, verdiente sich Grasser seine Sporen. Auch den um knapp zehn Jahre älteren Walter Meischberger, später Grassers Trauzeuge und nun als Komplize im Fall Buwog mitverurteilt, traf er dort.
Grasser war der Talentierteste unter Haiders Handlangern. Er avancierte 1994 zum Kärntner Vizelandeshauptmann und stellte bald eine gewisse Beinfreiheit unter Beweis. Er galt als Liberaler, mit den vielen rechten Recken in der FPÖ hatte er wenig am Hut. Einmal gab er Haider sogar öffentlich den Rat, an dem von NS-Veteranen frequentierten Ulrichsbergtreffen „lieber nicht“ teilzunehmen. Das war schon ein bemerkenswertes Eigenleben. Doch zugleich war der Stellvertreter klug genug, seine Grenzen zu kennen.
Ritterschlag in der Regierung
Dass Grasser im Jahr 2000 in der ersten schwarz-blauen Regierung unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel gleich zum Finanzminister avancierte, war für ihn der endgültige Ritterschlag. Und für Haider auch eine Gelegenheit, den Vorlauten aus der Provinz wegzuloben und mit neuen Aufgaben auszulasten.
Anfangs lief alles gut: Während einige Minister schon bald zurücktraten und andere ihre liebe Not hatten, dem öffentlichen Gegenwind standzuhalten, avancierte der athletische, stets gebräunte und lächelnde Grasser zum Sunnyboy des Kabinetts und zum Liebling der Nation. In den FPÖ-Wirren 2002 schaffte er das Kunststück, nahtlos auf ein ÖVP-Ticket zu wechseln, obwohl er angeblich schon mit 20 Jahren in die FPÖ eingetreten war. Ein Karrierist in seinem biografischen Zenit.
Das pralle Privatleben
Allerdings spielt spätestens ab jetzt auch Narzissmus eine Rolle. Grasser erfand für sich das Kürzel „KHG“ und legte der Öffentlichkeit weniger seine ausgeprägt neoliberale politische Agenda, sondern vielmehr sein pralles Privatleben zum Fraße vor. Der Boulevard griff dankbar zu. Die Symbiose gipfelte im Jahr 2005 in der Ehe des schon einmal Geschiedenen mit der Kristallerbin Fiona Swarovski.
Folgt man der Anklage und dem erstinstanzlichen Urteil, hatte der von immer mehr Glamour umwehte Kärntner seine kriminelle Karriere zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich. Im Jahr 2004 waren 60.000 Buwog-Wohnungen an die Immofinanz verkauft worden, es flossen fast zehn Millionen Euro Provision - an den Lobbyisten Peter Hochegger, den Grasser-Vertrauten Meischberger und laut Gericht eben auch an Grasser selbst. „Untreue zum Schaden der Republik“ nennen das Ankläger und Richter. Ein krasses Fehlurteil, beharrt Grasser.
Unterwegs ins Zwielicht
Dieser Skandal, der erst 2009 durch einen Zufall aufflog, war aber nicht die erste Delle im Hochglanzleben des Schwiegermutterlieblings KHG. Schon in seiner politisch aktiven Zeit, die bis zu Schüssels Abwahl 2006 währte, verdüsterte der Verdacht dubioser Machenschaften Grassers Bilanz. Ab Sommer 2003 rückten fragwürdige Geldflüsse im Nahbereich des Finanzministers und die Frage, ob denn auch alle Honorare versteuert wurden, zunehmend in die Schlagzeilen.
Im Zentrum stand zunächst der „Verein zur Förderung der New Economy“, geleitet von Grassers Kabinettschef und finanziert von der Industriellenvereinigung. Die Homepage des Ministers, ein „Grasser-Sozialfonds“ und andere Geldspenden rutschten ins Zwielicht. Die ÖVP verteidigte anfangs ihr Zugpferd, doch es machte sich schon damals Ratlosigkeit breit.
Flotte Sprüche, viele Gegner
Rein politisch bleibt Grassers Bilanz durchwachsen. Vielen gilt er heute nur mehr als Blender, als Verkäufer mit flotten Sprüchen, auf die man eben hereingefallen sei. Ein guter Tag beginne mit einem sanierten Budget, hatte der Minister die Öffentlichkeit bereits in seiner ersten Budgetrede wissen lassen.
Sein Ehrgeiz, erstmals ein Nulldefizit zu erreichen, wurde vielfach begrüßt und fügte sich gut in die Privatisierungs-Agenda von Schüssel. Doch es ging zugleich um eine KHG-Werbedurchsage, die letztlich durch das Ausräumen von Nationalbankreserven notdürftig umgesetzt wurde. Auch um den Eurofighter-Ankauf ranken sich bis heute mehr Fragezeichen als Antworten.
Politik und Person
Grasser selbst führt die Angriffe gegen seine Person, aber natürlich auch die strafrechtliche Verfolgung, bis heute auf Neid und auf die Agitation der politischen Gegner zurück. Man lehne seine Politik ab, deshalb bewerfe man seine Person mit Schmutz. Man mag ihm zubilligen, dass das nicht nur Schutzbehauptung ist, sondern Teilwahrheit. Dennoch verfestigte sich früh jenes Muster, das sich auch durch den Buwog-Prozess zog: In der Selbstwahrnehmung darf es keine eigenen Fehler geben. Die Politiker-Krankheit eben.
Vor einigen Jahren, als die Buwog-Causa schon in gerichtlicher Aufarbeitung war, stellte Grasser im Zuge eines längeren Telefonats die Frage: „Warum greift ihr Journalisten immer mich an? Warum bin ich der Buhmann?“ Die Antwort müsste vielschichtig ausfallen und erforderte auch Selbstreflexion, was umso schwerer fällt, je mehr man in die Enge getrieben ist.
Verstärkereffekte
Freilich ist es für eine „Person der Zeitgeschichte“ stets illusorisch, einen Zustand zu erreichen, in dem sich das Selbstbild mit der öffentlichen Wahrnehmung deckt. Aber im Fall Grassers, der stets ziemlich rücksichtslos ausgeteilt hat, gibt es unselige Verstärkereffekte. Wer hoch steigt, kann tief fallen. Und Grasser war jemand, der sich besonders breit machte und in seiner Glanzzeit wohl auch für unantastbar hielt.
So zeigt sich in Summe ein Gratwanderer, ein Grenzüberschreiter, der sich beim Seiltanz zwischen Geldadel, Politik und Business ganz auf die Stabilität des labilen Gleichgewichts verließ. Gewiss, das Publikum liebt solche Figuren. Aber es liebt auch die Tragödien derer, die sich mit allzu viel Ruhm bekleckert haben.