Es passierte still und heimlich. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist das Einbahnsystem im 1. Bezirk so angelegt, dass eine Querung der Wiener City von Nord nach Süd, von Ost nach West und vice versa nicht möglich ist. Aus gutem Grund: Findige Autofahrer hätten diese Route sofort als Schleichweg benutzt, um dem Morgen- oder Abendstau ein Schnippchen zu schlagen.
Dem Schreiber dieser Zeilen machte eines Tages ein Fiakerfahrer darauf aufmerksam, dass in einer Nacht- und Nebelaktion am Michaelerplatz ein Fahrverbotsschild von der Verkehrsbehörde demontiert worden ist – und somit möglich ist, was jahrelang verboten war: dass der Michaelerplatz, dessen Straßenbelag eher einer Rumpelpiste in der Sahara oder einer von einer Pistenraupe präparierten, aber über Nacht komplett vereisten Skipiste gleicht, ganz legal zu überqueren ist: Vom Ballhausplatz kommend am Josefsplatz vorbei in Richtung Staatsoper und Karlsplatz, Wienzeile.
Warum dieser von manchen dennoch benutzte Schleichweg plötzlich legalisiert wurde? Nach Auskunft des Magistratischen Bezirksamts steckt das Parlament hinter der Regelung. Bekanntlich haben National- und Bundesrat während der Renovierung des Hohen Hauses am Ring ihre Zelte in der Hofburg aufgeschlagen. Damit das Parlament für Abgeordnete, Angestellte und andere leichter mit dem Auto zu erreichen ist, wurde die Fahrverbotstafel am Michaelerplatz demontiert.
Besser noch als der einstige Wunsch der ehemaligen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, die mit ihrem Dienstwagen die Busspur in der Neustiftgasse benutzen wollte. Den Michaelerplatz dürfen jetzt alle durchqueren - VIPs wie auch Normalbürger. Bis National- und Bundesrat wieder ins altehrwürdige Haus am Ring übersiedeln.