Beim ersten Lockdown war Österreich einer der Vorreiter in Europa, jetzt sind wir eines der Sorgenkinder. Im November dürften 2000 Menschen an Corona sterben. War es nicht fahrlässig, dass die Regierung bei der Verhängung des Lockdowns so lange zugewartet hat?
SEBASTIAN KURZ: Unser Zugang war stets: So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig. Wie Sie wissen, war ich dafür, den Lockdown schon früher und härter zu verhängen. Es gab Widerstand bei manchen Parteien und Landeshauptleuten, deren Argument war: Die Bevölkerung würde die Maßnahmen nicht mittragen. Vielleicht war diese Einschätzung gar nicht so falsch.
Die Österreicher wären dazu nicht bereit gewesen? Ist das nicht zu einfach?
Wenn man Maßnahmen setzt, müssen sie von der Bevölkerung mitgetragen werden. Ich habe rund um die Herbstferien einen Anlauf genommen, wo es noch viel Widerstand gab. Beim Lockdown light wollte ich bereits die Schulen schließen. Dafür gab es damals keine Mehrheiten. Slowenien befindet sich schon lang im Lockdown, dort steigen nach wie vor die Zahlen, weil sich die Leute offenbar nicht ausreichend daran halten.
Am Mittwoch wollen Sie Lockerungen für die Zeit nach dem 7. Dezember präsentieren. Wie hoch muss die Infektionszahl sein?
Es ist nicht alles schwarz und weiß. Es gibt auch Graustufen. Je höher die Infektionszahlen sind, desto schwieriger wird es sein, Öffnungsschritte zu setzen. Ich habe immer für einen behutsamen Weg plädiert, manche haben das als Angstmache ausgelegt. Wir werden sicherlich keine übereilten Öffnungsschritte setzen können.
Ist es denkbar, den Lockdown um eine Woche zu verlängern, wenn die Zahlen nicht passen?
Unser Ziel ist, mit Handel und Schulen zu starten und vorsichtige Öffnungsschritte zu setzen. Jedem muss bewusst sein, dass wir noch Wochen und Monate mit gewissen Einschränkungen leben müssen. Es gibt zwei positive Entwicklungen: die Massentests und die Impfungen. Ich habe im August gesagt, dass wir bis zum nächsten Sommer zur Normalität zurückkehren können. Dabei bleibe ich.
Wie groß ist die Angst vor einem dritten Lockdown?
Den müssen wir so gut wie möglich verhindern. Die Massentests sind eine große Chance, das Infektionsgeschehen zu lokalisieren und Neuansteckungen zu verhindern. Wir werden nach dem 7. Dezember mit weiteren massiven Einschränkungen leben müssen. Den Bundesländern und Gemeinden möchte ich danken, dass sie ihre Termine nun vorgezogen haben.
Davor gab es ordentlich Zoff: Sie hatten die Tests in der „Pressestunde“ vorgeschlagen, die Landeshauptleute, die das durchführen, waren darüber nicht sehr erfreut. Warum haben Sie das nicht gemeinsam gemacht? Weil es Ihrem Macherimage schadet, wenn Sie wie Merkel mit Landeshauptleuten Runden drehen müssen?
Es wurde alles mehrfach gut mit den Ländern, den Städten, den Freiwilligenorganisationen besprochen, aber es ist immer so: Wenn etwas neu ist, gibt es jene, die die Ärmel aufkrempeln, und jene, die zunächst meinen, das geht sicherlich nicht. Ich bin dankbar, dass nun die Skeptiker, die am Anfang die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, nun bei den Ersten sind und bereits in der ersten Dezemberwoche testen wollen. Ich kann nur die Bevölkerung auffordern mitzumachen.
Die Massentests sind eine Momentaufnahme und nur sinnvoll, wenn man sie regelmäßig macht: Wird es im Jänner, Februar weitere Massentests geben?
Die Formulierung, Tests seien eine Momentaufnahme, ist trügerisch. Wir wollen in erster Linie Leute ausfindig machen, die nicht wissen, dass sie infiziert sind, um weitere Ansteckungen zu verhindern. Wir retten dadurch Leben. Wir werden nicht einmal testen und damit aufhören. Der einzige Aufwand ist, dass man sich testen lässt.
Werden Sie sich testen lassen bei einer der Wiener Teststraßen? Vielleicht gemeinsam mit Bürgermeister Ludwig?
Ich habe noch keinen Termin vereinbart, aber natürlich gilt das auch für mich. Als Staatsbürger bin ich es ja leid, dass ich die Freiheitsbeschränkungen ertragen muss, meine Eltern, meine Freunde nicht treffen zu dürfen. Die Tests sind eine Möglichkeit, um Lockdowns zu verhindern, zu verkürzen, abzufedern.
Zu den Skiferien, die von Merkel, Macron, Conte problematisiert worden sind: Es gibt Überlegungen, dass man die Skipisten öffnet, die Hotels geschlossen hält. Wäre das nicht ein Kompromiss, um das Problem zu lösen?
Wir werden am Mittwoch unseren Plan präsentieren, ich möchte nicht vorgreifen. Man muss die Debatte differenzierter führen: Erstens sind Skipisten derzeit geschlossen. Zweitens, so leid es mir tut: Die Sport- und Freizeiteinrichtungen werden nicht Teil des ersten Öffnungsschrittes sein. Drittens wollen wir in absehbarer Zeit wieder mehr Sport ermöglichen, insbesondere, wenn dieser unter freiem Himmel und als Einzelsport stattfindet. Davon getrennt ist die Frage des Tourismus. Was klar ist: Après-Ski wird es frühestens in einem Jahr wieder geben.
Wenn Deutsche oder Italiener, die bei uns waren, in der Heimat in Quarantäne müssen, würde das die Lage nicht entkrampfen?
Dass in einer Zeit der Pandemie, selbst wenn wir öffnen würden, sehr viel weniger Touristen einen Urlaub in Österreich verbringen wollen, ist klar. Was Berlin, Rom und andere beschäftigt, beschäftigt uns auch, nämlich die Reisetätigkeit in Zeiten einer Pandemie.
Wenn man nach Afrika fährt, braucht man eine Gelbfieberimpfung. Ist es vorstellbar, dass Touristen künftig geimpft sein müssen, wenn sie nach Österreich kommen?
Wir können die Pandemie in der Mitte unserer Gesellschaft nur bekämpfen, wenn sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Die Impfung wird in Österreich freiwillig sein, aber ich gehe davon aus, dass einige Länder oder Fluglinien so was verlangen.
Würden Sie es begrüßen, wenn die Betreiber von Hotels, Bars, Fitnesscentern sagen: Bei mir dürfen Leute nur herein, wenn sie geimpft sind?
Wir sind noch gar nicht so weit, dass sich in Österreich zu wenig Leute impfen lassen wollen. Wir haben noch keine Dosis Impfstoff in unserem Land. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Monaten mehr Menschen sich impfen lassen wollen, als wir überhaupt Impfstoff haben. Im ersten Quartal werden wir Ältere, das Gesundheitspersonal impfen, im zweiten Quartal gehen wir in die Breite.
Was sagen Sie Leuten, die keine Impfgegner sind, aber meinen, die Corona-Impfung sei ein Schnellschuss, wo man nicht einmal die Nebenwirkungen kennt?
Ich verstehe jeden, der sich Sorgen macht. Wir werden in Österreich und Europa nur Impfungen zulassen, die zu hundert Prozent sicher sind nach Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde. Ich habe bereits mit Menschen gesprochen, die geimpft sind. Denen geht es allen gut. Je mehr Menschen geimpft sind, umso mehr wird die Sorge abnehmen. Wir konnten viele Krankheiten in der Vergangenheit nur durch die Erfindung von Impfungen ausrotten. Nicht anders ist es bei Corona.
Werden Sie sich impfen lassen?
Ja, aber ich werde wegen meines Alters später drankommen.
Sie haben zuvor gesagt, im Sommer kehren wir zur Normalität zurück. Was ist im Frühjahr?
Die nächsten Monate werden von drei Dingen geprägt sein: leider gewisse freiheitsbeschränkende Maßnahmen, möglichst viele Tests, ab Jänner die Impfungen. Wir werden schrittweise Lockerungen vornehmen können. Solange nicht ein gewisser Anteil der Bevölkerung geimpft ist, können wir nicht zu hundert Prozent zu unserem normalen Leben zurück.
Werden wir im Sommer die Masken wegschmeißen können?
Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer zur Normalität zurückkehren, wenn sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung geimpft hat.
Wie werden Sie Weihnachten verbringen? Mit oder ohne Eltern?
Ich werde heuer auf vieles verzichten müssen, was wir sonst in der Familie, der Verwandtschaft, im Freundeskreis machen. Wir werden heuer vorsichtig sein müssen. Je weiter wir gemeinsam die Ansteckungszahlen durch Maßnahmen, Disziplin, Massentests runterdrücken, desto sicherer wird das Weihnachtsfest ablaufen. Der absolute Horror wäre, in der Weihnachtszeit die eigenen Eltern, Großeltern anzustecken und zu sehen, wie sie dann schwer erkranken.