Fühlen Sie sich nach dem Terrorattentat am 2. November in Wien noch sicher?
MICHAEL LUDWIG: Selbstverständlich. Wien ist eine der sichersten Städte weltweit, der Terroranschlag wird uns nicht in die Knie zwingen. Aber ich verlange von den Verantwortlichen in der Bundesregierung, dass sichergestellt wird, dass so etwas nicht mehr vorkommen kann. Es hat sich ja gezeigt, dass es Möglichkeiten gegeben hätte, das zu verhindern.
Sie meinen die Polizeiarbeit im Vorfeld?
Das kann man nicht auf einzelne Beamte abwälzen. Der politisch Verantwortliche, also der Innenminister, muss sicherstellen, dass das funktioniert. Ich erwarte mir jetzt schnelle Ergebnisse der Untersuchungskommission. So etwas darf sich nicht wiederholen.
Der Täter hat in Wien gelebt...
Er wurde in Mödling geboren.
Wie erklären Sie sich diese Radikalisierung? Gibt es blinde Flecken im Bereich Integration?
Er war ja inhaftiert wegen seiner radikalen Ansichten und Tätigkeiten. Das ist ja mein Vorwurf. Ich sehe keine Veranlassung, dafür die Zuwanderungspolitik verantwortlich zu machen. Er ist in Österreich geboren, es muss also andere Gründe geben. Deshalb muss sichergestellt werden, dass Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – radikalisieren, keine Gefährdung darstellen.
Was halten Sie vom Vorstoß der Bundesregierung, Terroristen im Maßnahmenvollzug ein Leben lang wegzusperren?
Es wird nicht möglich sein, dass man Menschen festhält, die keine Delikte begangen oder ihre Strafe abgesessen haben. Das ist, wie so oft bei der Bundesregierung, eine PR-Ankündigung, auf die im Regelfall wenig bis nichts folgt.
Wir sind gerade im zweiten Lockdown. Um danach sicher wieder öffnen zu können, will die Regierung freiwillige Massentestungen in der Bevölkerung durchführen. Eine gute Idee?
Das ist die nächste Ankündigung, die viele Fragen aufwirft. Wie organisiert man das in diesem Ausmaß? Wer organisiert das, wer testet? Es war von Tests für die ganze Bevölkerung die Rede, aber offensichtlich soll es nur für einzelne Berufsgruppen kommen. Wiese gibt es das dort nicht schon längst? Im Sommer wäre Zeit genug gewesen, den ordnungsgemäßen Verlauf in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu organisieren. Dass da nix oder wenig passiert ist, ist ein Versäumnis.
Warum kritisieren die Landeshauptleute aus Kärnten, dem Burgenland und Salzburg die Tests?
Die Ankündigung von Massentest wurde getroffen, ohne irgendwen einzubeziehen. Offenbar nicht einmal den Gesundheitsminister, der eigentlich zuständig ist. Und auch nicht die Bundesländer, zumindest nicht Wien. Dabei müssten die Länder die Dinge vorbereiten. Der Bundeskanzler macht das nicht. Es sind die Bundesländer, die Bezirkshauptmannschaften, die Städte und Gemeinden, die vor Ort verantwortlich sind und die großen Ankündigungen umsetzen müssen. Man muss das besprechen mit jenen, die dann auch gerade stehen müssen dafür.
Was wäre in den letzten Wochen konkret besser gelaufen, wenn Sie früher informiert gewesen wären?
Alles. Offensichtlich kann es ja nicht gut gelaufen sein, sonst hätten wir in Österreich nicht weltweit die höchsten Zahlen an Infizierten pro 100.000 Einwohner. Wir erwarten konkrete Entscheidungen und nicht bloß Pressekonferenzen und eine permanente Verunsicherung der Bevölkerung durch die Hü-Hott-Politik der Bundesregierung: Einmal heißt es, es werden 100.000 Menschen sterben, dann ist Licht am Ende des Tunnels, dann ist die Gesundheitskrise überwunden. Von jemandem, der behauptet, ein guter Krisenmanager zu sein, erwarte ich mir Taten.
Wurde die Eigenverantwortung der Bevölkerung überschätzt, weil die Menschen nicht ausreichend bereit waren, sich einzuschränken?
Also bitte. Man kann ja nicht sagen, immer wenns gut lauft, ist es der glorreiche Bundeskanzler, und wenn es schräg läuft, ist es die Bevölkerung. War es dann im Frühling auch die Bevölkerung, die großartig reagiert hat? Vielleicht, aber dann frage ich mich: Was macht die Bundesregierung, wenn alles die Bevölkerung zu verantworten hat?
Zuletzt stabilisierte sich die Situation in Wien halbwegs, während sich das Virus vor allem im ländlichen Raum ausbreitet. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Allerdings. Weil Mitglieder der Bundesregierung im Vorfeld der Wienwahl aus rein parteipolitischen Gründen monatelang den Eindruck vermittelt haben, das Virus wäre auf Wien beschränkt. Ich hab im Gespräch mit vielen Menschen aus anderen Bundesländern bemerkt, dass sie in der Tat aufgrund der Wortmeldungen der Bundesregierung geglaubt haben, das Virus ist ein Wiener Problem. Dadurch ist es zu einer argen Verharmlosung der Gefahr gekommen. Man sieht mit welchen Konsequenzen. Da hat die Verantwortung auch Name und Adresse.
Nämlich? Der Bundeskanzler?
Alle jene, die seine Linie gegen Wien in der Öffentlichkeit vertreten haben. Alle, die sich täglich zu Wort gemeldet haben, um Wien zu rügen. In Richtung der anderen Bundesländer gab es bis jetzt nicht solche Wortmeldungen.
War der Fokus auf Wien ein Grund dafür, dass in Wien auf Druck besser gearbeitet wurde?
Nein, da brauchen wir keine Anregungen von Personen aus der Bundesregierung, die noch dazu keine Kompetenz haben, Wien zu rügen. Da haben wir schon eigene Vorkehrungen getroffen. Wir haben rund 700 Personen im Contact Tracking beschäftigt. Kein einziger ist auf Vorschlag der Bundesregierung gekommen. Und wir machen das offensichtlich nicht so schlecht. Wir brauchen niemanden in der Bundesregierung, der fußfrei in der ersten Reihe sitzt, gute Ratschläge verteilt und Kalendersprüche von sich gibt.
Der Wiener Bildungsdirektor findet es gut, dass trotz Bildungslockdown viele Kinder in die Schule kommen - entgegen den Empfehlungen der Regierung.
Nein, das stimmt nicht. Das ist die Empfehlung des Bundeskanzlers. Das unterscheide ich, denn ich weiß, dass die Expertinnen in der Ampelkommission einer ganz anderen Meinung sind. Ich vertraue da eher den Experten. Man sollte sich überlegen, wie eine kritische Infrastruktur aufrecht erhalten werden kann, wenn die Menschen, die dort arbeiten, alle Kinder haben und zu Hause bleiben. Vielleicht könnte der Herr Bundeskanzler auch einmal über den nächsten Schritt nachdenken und nicht immer nur über die nächste Pressekonferenz.
Muss man ausgerechnet in so einer Situation die Linie des Bundeskanzlers konterkarieren?
Das tun wir nicht, wir halten uns an die Beschlüsse der Bundesregierung. Aber wenn man sich die Entwicklung ansieht, muss man zum Schluss kommen, dass nicht alle seiner Anmerkungen so sinnvoll waren.
In Wien wird am Dienstag die neue rot-pinke Stadtregierung angelobt. Was wollen Sie anders machen, als mit den Grünen?
Die Zusammenarbeit mit den Grünen war sehr erfolgreich. Mit der Entscheidung für die Neos wollte ich eine Tür öffnen für eine neue Perspektive: Ein neuer Weg, der für Wien interessant sein kann, aber auch für andere Gebietskörperschaften. Wenn es Nachahmer findet, soll mir das sehr recht sein.
Sie möchten das politische Spielfeld im Bund verändern?
Dass man dort was ändern müsste, zeigt sich ja täglich.
Ist das eine Kampfansage an die ÖVP?
Ich sehe politische Mitbewerber nicht im Kampf. Aber wir wollen durch eine positive Arbeit beweisen, dass wir in manchen Bereichen die Situation besser bewältigen, als andere.
Sie haben im Koalitionsabkommen einen klaren Klimaschwerpunkt gesetzt. Warum also nicht gleich weiter mit den Grünen?
Unser Programm hat 212 Seiten und beinhaltet sehr viel mehr. Es hat sich gezeigt, dass die Überschneidungen mit den Neos am größten waren. Wenn man aufeinander zugeht und inhaltlich Diskussionen korrekt führt, ist es möglich, dass zwei grundverschiedene Parteien –denn das sind wir, in der Größe und im Zugang zu vielen Themen – zusammen finden.
Das Beste aus zwei Welten also?
Der Begriff ist schon ein bissl abgegriffen und, wie man sieht, funktioniert es auf Bundesebene nicht ganz. Die Welt der Grünen kann ich auf Bundesebene nicht so erkennen. In Wien wollen wir das anders machen.
Veronika Dolna